Japan und die Juden
Buchtitel: Warum Japan keine Juden verfolgte. Die Judenpolitik des Kaiserreiches Japan während der Zeit des Nationalsozialismus (1933 – 1945)
Autor: Heinz Eberhard Maul
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2007
ISBN 978-3-89129-535-9
Es ist wohl weniger die wechselvolle gemeinsame Geschichte in ihrer Gesamtheit, die Deutsche und Österreicher aneinander bindet, übrigens eine Geschichte, die sie mit allen übrigen Völkern Europas teilen, als vielmehr jene gemeinsame Zeit der Freveleien gegen die Menschlichkeit, vor allem aber die Verantwortung für die grausame Verfolgung und beinahe vollständige Auslöschung des europäischen Judentums.
Die wissenschaftliche Befassung mit diesen Vorgängen kann auch nach Generationen nicht als abgeschlossen gelten, fördert doch die Arbeit der Historikerinnen und Historiker immer wieder neue Aspekte zutage, die bislang einer eingehenden Betrachtung nicht oder nur mangelhaft unterworfen worden sind. Hier sei besonders auf die einschlägigen Arbeiten Götz Alys verwiesen, der vor allem das Ausmaß der Bereicherung an der Entrechtung der jüdischen Menschen dargestellt hat [etwa in „Sozialpolitik und Judenvernichtung“, Berlin 1987].
Dass die Verhältnisse in Japan ab den 1930er Jahren, so sehr sie sich auch verschärften, nicht mit jenen im nationalsozialistischen Deutschland zu vergleichen sind, lässt Heinz Eberhard Maul in seiner Studie immer wieder durchblicken. Die Expansionspolitik des japanischen Kaiserreichs, so aggressiv sie sich schließlich gerierte (was vor allem Chinesen und Koreaner zu spüren bekamen), ist mit der rassistischen Grausamkeit des Weltanschauungskrieges der Nazi-Diktatur zu keinem Zeitpunkt in eins zu setzen.
Der Antisemitismus deutscher Prägung mit seinen Hetzschriften und die niedrigste Gesinnung ansprechenden Pamphleten ist denn auch in Japan nie auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Zahl der antisemitischen Spinner hielt sich immer in Grenzen, eine manipulierte Empörung (von Teilen) der Bevölkerung konnte in Japan nie verfangen. Nicht nur mangels Juden im Land. Die einzige Begegnung einer größeren jüdischen Gemeinde mit gewöhnlichen Japanerinnen und Japanern, in der Stadt Kōbe, geriet denn auch eher zu einem Zeugnis der japanischen Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen (S. 121 ff.).
Die Tatsache, dass es amerikanische Kreditoren jüdischer Provenienz gewesen sind, die eine Ausstattung der japanischen Marine vor dem Waffengang mit dem zaristischen Russland, 1904/05, finanzierten, hatte sich in den einflussreichen gesellschaftlichen Kreisen Japans verankert, sodass späterhin Pläne für eine Ansiedlung von Juden in Manchukuo, dem von Japan etablierten Marionettenstaat auf dem asiatischen Kontinent, zur Beförderung des wirtschaftlichen Aufbaus gesponnen werden konnten. Die Ereignisse in Europa und jene Entwicklungen, die Japan einer Konfrontation mit den Vereinigten Staaten zu trieben, gleichwohl aber auch leichthin realitätsfremde Vorstellungen von Juden und ihren Möglichkeiten, entzogen diesen Absichten, die auch von einer Faktion der japanischen Militärs lanciert wurden, ihre Grundlage.
Dessen ungeachtet strömten mit Ausbruch der Feindseligkeiten in Europa (deutscher Überfall auf Polen) und den rigiden Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung verstärkt Emigranten nach Ostasien. Als Anlaufstelle fungierte zunächst Harbin (Hauptstadt der nordchinesischen Provinz Heilong-jiang) und als die Lage dort unerträglich zu werden begann (aufgrund von Repressionen durch weißrussische Exilanten), schließlich Shanghai (S. 49 ff.).
Vorbereitet auf diesen Flüchtlingszug waren weder japanische Behörden noch Militärs. Der „Fall“ Sugihara Chiune (S. 101 ff.), der als Vizekonsul in Kaunas Transitvisa für staatenlos gewordene polnische Juden ausstellte, ist zwar in seiner Dimension einzigartig (die durch Sugiharas Beistand geretteten Menschenleben gehen in die tausende), allerdings nicht in der grundsätzlichen Einstellung. Eine feindselige Haltung von Japanern gegenüber Juden hat sich (von wirklich wenigen Ausnahmen abgesehen) auch dann nicht ausbreiten können, als mit Beginn des Pazifischen Krieges und der Bündnisstruktur mit Nazi-Deutschland, vor allem der Druck von letzterem, Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen, immer unverblümter wurde. Als die einzige Konzession in dieser Hinsicht darf die Einrichtung eines Ghettos in Shanghai gesehen werden, das indes von japanischer Seite stets als „Sonderbezirk für staatenlose Flüchtlinge“(S. 150) definiert wurde.
Wie es Juden aus Europa möglich war in Ostasien unter der Herrschaft Japans der Shoa zu entgehen, welche internationale Institutionen zu ihrer Unterstützung zusammenwirkten und welche Persönlichkeiten Japans in guten wie in weniger guten Phasen der Konfrontation miteinander zu tun hatten, schildert der Autor in allem sehr ausführlich. Er resümiert seine Betrachtungen mit einer gewissen Süffisanz: „Während der Zeit des Nationalsozialismus waren Juden für Japaner Fremde, von irgendwoher nach irgendwohin. Sie blieben letztlich das, was Fremde – ob Jude oder Flüchtling, ob Besucher oder Gast – für Japan und seine Menschen immer waren und im Grunde auch immer bleiben sollen: Durchreisende.“(S. 165)
Die Arbeit ist durch keinen Anmerkungsapparat belastet, was einer flüssigen Lektüre zupass kommt. Indes dürften Fachleute ein Manko darin sehen, dass ausgewiesene Stellen nicht der üblichen Zitierweise unterworfen sind. Zwar führt der Autor im Vorwort jene Institutionen an, die er im Verlauf seiner Forschung konsultiert hat, aus welchen Quellen er jeweils geschöpft hat, erhellt dadurch nicht immer zweifelsfrei. Damit ist, was hiermit ausdrücklich festgehalten sei, kein Einwand gegen das Buch erhoben, das einen wichtigen Beitrag auf dem Weg darstellt, eine Lücke in einem besonders dunklen Kapitel der Geschichte zu schließen.
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