Die Insel Hashima

Die Insel Hashima

Zu den bizarrsten Gebilden menschlicher Hervorbringung oder, wie in diesem Fall, Beeinträchtigung, gehört wohl die Insel Hashima in der Bucht von Nagasaki.
Die gesamte Präfektur zählt etwa 500 unbewohnte Inseln, zumeist felsige Eilande von untergeordneter Dimension. Hashima am nächsten liegt die allenfalls bekanntere und wesentlich größere Insel Takashima. Auf Takashima setzte eine forcierte Förderung von Kohle zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein. Die im umständlichen und wenig ergiebigen Verfahren des Tagebaus (Abteufung von Kuhlen und Auskratzen der Flöze bis zu deren Neige) gewonnene Kohle diente zunächst ausschließlich zur Salzgewinnung aus Seewasser (Auskochen). In der Meiji-Periode wurden durch Einsatz schottischer Bergbautechnik erstmals Schachtminen vorangetrieben. In Folge der einsetzenden Industrialisierung und der damit verbundenen explosionsartigen Nachfrage nach dem fossilen Brennstoff, wurde die Prospektion nach Lagerstätten auf die Umgebungsgebiete Takashimas ausgedehnt.
1887 wurde die erste Schachtmine in den Felsen von Hashima gedrillt, 1890 die kleinwinzige Insel mitsamt der Förderechte an den Mitsubishi-Konzern verkauft, der die Anlagen bis zu ihrer Stilllegung 1974 unterhielt.
Die Minen Hashimas wurden alsbald bis tief unter den Meeresgrund geschlagen. Das Felseneiland veränderte im Laufe der Zeit komplett sein natürliches Aussehen. 1916 errichtete man darauf das erste Stahlbetongebäude Japans. Bald folgte der größte Baukomplex, ebenfalls aus Stahlbeton. Zur Bewehrung gegen die Meereskräfte, in Gewalt der mächtig anrollenden Wellen, umgürtete man die Insel mit einer gigantischen Mauer. 1921 fühlte sich der Redakteur einer Zeitung aus Nagasaki bei ihrem Anblick an das japanische Schlachtschiff “Tosa” erinnert. Fortan belegte man Hashima mit der Bezeichnung “Schlachtschiffinsel”, Gunkanjima.
Auf Hashima wurde auch dann noch gebaut, als das im übrigen Japan, kriegsbedingt, nicht mehr möglich war. Die Jahresfördermenge von 150.000 Tonnen in den 1920er Jahren schwoll 1941 auf 410.000 Tonnen an. Seit 1939 wurden Zwangsarbeiter aus China und Korea in die Minen verpflichtet. Nach vorsichtigen Schätzungen kamen dabei bis zum Kriegsende in den unterseeischen Anlagen 1300 Menschen ums Leben.
So richtig setzte der Boom auf Hashima aber erst nach Beendigung des Krieges und mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau Japans ein. 1959 war das Jahr, in welchem die höchste Einwohnerdichte erreicht wurde: Auf dem 6,3 Hektar großen Flecken lebten und arbeiteten 5259 Menschen. Im Wohnabschnitt der Insel führte das zu einer Dichte von 1391 pro Hektar. Damit war Hashima der am dichtesten bevölkerte Ort der Welt. Selbst in den Stadtteilen mit den höchsten Einwohnerzahlen des heutigen Tokio fällt die Dichte weitaus geringer aus.
Die Unterbringung der Arbeiter erfolgte in Räumlichkeiten der Größenordnung von sechs Tatamimatten (etwa 9,9 Quadratmeter) für Einzelpersonen. Verheiratete bewohnten mit ihren Familien doppelt so große Räume (bei gemeinsamen Toiletten, Bädern und Küchen). Höher Qualifizierte und Lehrpersonal verfügten bereits über eigene Toiletten und Kochgelegenheit in ihren Privaträumen. Wirklich in Luxus hauste allein der Manager der Mine: Für ihn wurde eigens ein Holzhaus am Fuße des zentralen Felsens errichtet.
Während der Boomzeit war Hashima eine japanische Welt en miniature. Neben Appartementblocks und Werksgebäuden fanden sich Schulen und Spielplätze, ein Kino, Bars, Restaurants, verschiedene Einkaufsläden, ein Friseur, eine Pachinko-Halle, ein Spital, ein buddhistischer Tempel, sowie ein Shinto-Schrein und ein mit Seewasser gespeister Swimmingpool. Sogar ein Bordell. Es ging die Rede, man würde rascher von einem Ende der Insel zur nächsten gelangen als man eine Zigarette raucht.
Auf die Insel musste alles Notwendige verbracht werden. Auch Trinkwasser, ehe man 1957 eine Leitung vom Festland legte. Schließlich kam auch noch Pflanzerde auf den bis dahin völlig unbewachsenen Felsen.
Als in den 1960er Jahren Erdöl Kohle als wichtigsten fossilen Energieträger ablöste, ging die Ära von Hashima allmählich zu Ende. Am 20. April 1974 verließ der letzte Mensch die “Schlachtschiffinsel”. Zurück blieben die sich selbst überlassen bleibenden Gebäude und einige Katzen, die sich einer Übersiedlung entzogen.
Heute ist Hashima eine Geisterinsel, die offiziell nicht betreten werden darf. Dessen ungeachtet zirkulieren zahlreiche Photos im Internet. Jürgen Specht hat vor einigen Jahren eine längere Photostrecke von der wieder menschenleeren Insel angelegt. 2003 erschien in zweiter Auflage im japanischen Verlag Tankosha ein Photoband mit Aufnahmen von Saiga Yuji und einem Essay von Kasahara Michiko.
Mitunter wird Hashima mit Alcatraz in der Bucht von San Francisco verglichen. Alcatraz war (und ist) eine entweihte, den Indianern heilige Stätte. Ob Hashima im Shinto irgendeine Rolle spielt(e) ist mir indes nicht bekannt.
Es gibt auch schon Überlegungen, das Eiland touristisch zu erschließen. Atmosphäre und Symbolgehalt der Insel würden dadurch freilich nicht gewinnen. Irgendwie liegt Hashima ja auch als ein Mahnmal erschöpfter Ressourcen in der Bucht von Nagasaki im Dämmer seines schleichenden Verfalls. Und diese Bedeutung trägt sie wohl nicht nur für Japan zur Schau.

Quellen: Burke-Gaffney, Brian: Hashima, the Ghost Island, 2002
www.cabinetmagazine.org/issues/7/hashima.php (Zugriff am 20.02.2006)
Gunkanjima (Schlachtschiffinsel) Info + Bilder:
www.juergenspecht.com/documentations/?number=30&overview=1 (Zugriff am 20,02,2006)
Saiga, Yuji: Gunkanjima. Awakening of a Dead Island. Tankosha 2003 (ISBN 447301987X)

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