Medien und das Große Ostjapanische Erdbeben

Buchtitel: Media-Contents und Katastrophen. Beiträge zur medialen Verarbeitung der Großen Ostjapanischen Erdbebenkatastrophe
Herausgeber: Matthias Koch, Harald Meyer, Takahiro Nishiyama, Reinhard Zöllner
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2016
ISBN 978-3-86205-299-8

Dieses Buch versammelt Beiträge einer im November 2012 in Bonn tagenden Konferenz zum titelgebenden Thema. Das im Fokus des Diskurses stehende Ereignis (bzw. die Ereigniskette) liegt zu diesem Zeitpunkt etwa anderthalb Jahre zurück und einige Arbeiten weisen sich dezidiert als Zwischenberichte noch umfassender anberaumter Untersuchungen aus (z. B. die Überlegungen von Sakata Kuniko). Dass unterdessen zahlreiche ähnlich gelagerte Studien vorliegen, wertet das hier Zusammengetragene keineswegs ab. Des zeitlichen Kontextes sollte man sich aber dennoch eingedenk wissen.
Harald Meyer greift in seiner Befassung mit einem herausragenden Werk Yoshimura Akiras seiner 2013 herausgegebenen Monographie vor [Meyer (Hg. U. Übers.): „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“, Iudicium 2013], darin das Verhandelte breitere Ausführung erfährt. Matthias Koch nimmt den medialen Umgang in Japan mit der Nuklearkatastrophe in den Blick, unter besonderer Berücksichtigung der Zeitungen Asahi, Mainichi und Yomiuri. Wie sich herausstellte, geriet das Primat der Informationsberichterstattung nicht nur ausgewiesenen „Käseblättern“ zur Desinformationspolitik. Aus der Einsicht in die „soziale Konstruiertheit von Wissen und Wissensproduktion“ hat die Gesellschaft – freilich nicht nur die japanische – Schlussfolgerungen zu ziehen.
Itō Mamoru gewährt uns Einblick in das japanische Mediensystem, die einen einmal mehr mit der Frage konfrontiert wie es um den Informationsauftrag der Massenmedien in diesem Land bestellt ist. Ōshima Yumi legt den Finger in eine offene Wunde: die mangelnde Fähigkeit der Politik in Japan zur Veränderung, geschuldet einem ausgeprägten Sektionalismus. Als Folge im Zusammenhang mit dem Großen Ostjapanischen Beben ist ein verzögerter, teilweise fehlgelenkter Wiederaufbau zu konstatieren.
Nishiyama Takahiro würdigt die nutzbringenden Möglichkeiten sozialer Medien in Regionen, in denen durch zeitweiligen oder totalen Stromausfall traditioneller Nachrichten- wie Informationsübertragung Schranken gewiesen wurden. Via Twitter und unter Einsatz von Tools diverser Suchmaschinen lassen sich, wie sich zeigt(e), aber nicht nur “hard Facts”, sondern auch “awesome fakes” (mit)teilen. Oder deutlicher gesagt: glatte Lügen. Förderung einer „social media literacy“ hätte darum möglichst früh anzusetzen. Nicht unbedacht bleibt freilich auch die Kluft zwischen den Generationen, was Vertrautheit und Versiertheit im Umgang mit den elektronisch gestützten Medien anbelangt. Schön zu lesen, dass Nishiyama bei der Begriffsdefinition auf Vilém Flusser rekurriert, kann man sich doch des gelegentlichen Eindrucks schwer erwehren, dass der Theoretiker der Telematik in gewissen Kreisen bereits außerhalb der Rezeptionssphäre rangiert.
Sakata Kuniko streicht in ihrem Beitrag ihre persönliche Betroffenheit heraus und vermag sehr eindringlich zu vermitteln wie selbst eine Wissenschaftlerin an die Grenzen der Mitteilbarkeit gerät. Umso bemerkenswerter erscheint die Vielzahl ihrer angestoßenen Projekte, Menschen aus den Katastrophengebieten das Gedenken der Ereignisse bewahren zu helfen.
Reinhard Zöllner schließlich stellt eine phantastisch anmutende Kurzgeschichte von Miyazawa Kenji vor, in der soldatengleich marschierende Strommasten einer Bahnlinie folgen.
Etliche Gedankenanstöße, die zu weiterer Reflexion anregen.



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