Japan als Sozialstaat

Buchtitel: Inter Pares. Gleichheitsorientierte Politiken in Japan
Autor: Dan Tidten
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2012
ISBN 978-3-86205-038-3

Diese als Dissertation approbierte Untersuchung mag sowohl politikwissenschaftlich Interessierte, als auch mit dem Vergleichen von Rechtssystemen Befasste ansprechen. Die Konzentration auf die von der Politik orchestrierten Rahmenbedingungen zur Herbeiführung und Gewährleistung von Gleichbehandlung beispielsweise, beschreibt ein Themenfeld, wie es allen Organisationsformen rechtsstaatlich-demokratischer Grundordnung gemein scheint.
Dass die Entwicklung dahin im Vergleich zwischen Deutschland und Japan von unterschiedlichen Startpositionen auszugehen hat, bleibt dem Autor nicht verborgen. Die Tradition des positiven Rechts, wie es sich in Europa ausbilden konnte, findet sich in Japan bis in die Ära der Meiji-Restauration nicht. Es wäre aber verfehlt zu vermuten, dass an verbindlichen Regelungen im Land der aufgehenden Sonne Mangel herrschte, sodass Verhandlungen zwischen Gewerbetreibenden etwa dem Gesetz der Willkür unterworfen gewesen wären. Die Übernahme „westlicher“ Rechtstraditionen in der Ära des Wandels sowie nach 1945 unter dem Eindruck der Kriegsniederlage durch das Besatzungsregime der Vereinigten Staaten, hat gewisse japanische Eigenwilligkeiten dennoch erhalten. Der Umstand, dass man als Japaner ungern zu Gericht geht um seine Rechte zu verteidigen, braucht nicht per sei als Beleg für eine ausgeprägte Konfliktscheu genommen werden. Etwa wenn man weiß, dass bei arbeitsrechtlichen Konflikten bevorzugt Vorfeldorganisationen, die auf Mediation abgestimmt sind, konsultiert werden: „Für die Streitbeilegung werden in Japan (…) administrative Vermittlungsverfahren bevorzugt vor gerichtlichen Verfahren eingesetzt(…).“(S. 110)
Für unsere Verhältnisse merkwürdig anmuten Richtlinien wie die sogenannte „Bemühungspflicht“ doryoku gimu (S. 112 ff.), die Behörden wie Private (z. B. Arbeitgeber) eben nicht verbindlich lenken und bei einer gerichtlichen Instanz festnageln könnten. In puncto Chancengleichheit für Menschen mit Beeinträchtigungen lässt sich ein Stadt-Land-Missverhältnis ausmachen. Kommunen der entlegeneren Regionen können mit den Metropolregionen sowohl was die Vielfalt an Betreuungseinrichtungen, als auch das System zusätzlicher Beihilfen angeht, nicht gleichziehen. Das japanische Gesundheitssystem gilt gleichwohl als das beste der Welt, der Modus seiner Finanzierung als weithin besser aufgestellt als vergleichsweise in Deutschland (oder Österreich).
Das Ende der Diskriminierung der burakumin wurde in der Ära Meiji eingeläutet und mit Fördermaßnahmen, die zu Beginn des neuen Millenniums ausliefen, quasi zeitverzögert vollendet. Die Politik hat hier geliefert, was freilich auch breiteren Bevölkerungskreisen obliegt: Ressentiments zu überwinden. Im Umgang mit Ausländern scheint das nicht immer zu gelingen. Der Autor beschreibt den Fall eines Badehausbetreibers, der einem Nicht-Japaner den Zutritt verwehrt hatte, woraufhin dieser das Distriktgericht Sapporo erfolgreich anrief (S. 49 f.).
Wem die Fundierung der Vergleichsweisen von gleichheitsorientierten Politiken zu wissenschaftlich anmuten, kann aus dem Buch dennoch eine Fülle an Einsichten gewinnen.



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