Die politischen Strukturen Japans

Buchtitel: Demokratie und Herrschaft in Japan. Ein Machtkartell im Umbruch
Autor: Albrecht Rothacher
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2010
ISBN 978-3-86205-011-6

Lehrbüchern eignet selten etwas Erbauliches, erschöpft sich ihr Wesenszweck doch in erster Linie in der Verbreitung von (über)prüfbarem Wissen. Zudem folgen Kompendien für die universitären Seminare natürlich anderen didaktischen Gesichtspunkten als die Aufbaubücher der Schulzeit. Das vorliegende ist als Unterweisung für Studierende ersonnen worden, wendet sich aber an einen darüber hinausreichenden, größeren Kreis. Der Autor darf, etwas salopp formuliert, als alter Hase der Materie bezeichnet werden, der am Universitätsbetrieb dennoch nicht seinen Humor eingebüßt hat. Die kurze Reminiszenz an den neuen Wiener Campus im Alten AKH im Vorwort hat auch den Verfasser dieser Zeilen nostalgisch werden lassen. Darüber hinaus hat er viel gelacht. Die ökonomische Kategorie der „Zombiefirmen“ (gemeint sind künstlich am Leben gehaltene Bankrottbetriebe), in Anlehnung an einen Newsweek-Artikel, ist ja wirklich zu köstlich (S. 34). [Später folgt noch eine Definition des „Zombie-Abgeordneten“ (S. 122).]
Worum geht es? Um nichts weniger als um die Vermittlung des japanischen Politikfeldes der letzten sechzig Jahre, was angesichts der „offiziellen Varianten der Desinformation“(S. 11) kein leicht zu bewerkstelligendes Unterfangen darstellt.
Zunächst wird die Genese des sogenannten „Eisernen Dreiecks“ der japanischen Machtelite bis zu dessen Korrosion in der jüngeren Vergangenheit geschildert. Dass die Reproduktion politischer Führungskräfte auch abseits ererbter Möglichkeiten (oder Erleichterungen) ein subtiles, von allerlei Unwägbarkeiten getragenes, mitunter alles andere als einträgliches Geschäft ist, wird anhand ausgewählter Karriereverläufen innerhalb der LDP verdeutlicht. Die zuweilen als Flügelkämpfe bezeichneten Animositäten innerhalb europäischer Parteien, die freilich die unterschiedlichen Interessenlagen innerhalb vermeintlich heterogener Gruppen spiegeln, finden ihr japanisches Gegenstück in der Machtpolitik der zahlreichen Faktionen innerhalb der Fraktionen. Wahrscheinlich ist kein Spitzenpolitiker auf der Welt innerhalb seiner eigenen Partei permanent mit einem derartigen Potential an zu beschwichtigender Widersetzlichkeit konfrontiert, als er es in Japan ist. [Und darum nehmen sich die Coups, die Koizumi gegen seine eigenen Mentoren starten konnte, umso bemerkenswerter aus.]
Eine Laufbahn innerhalb der Verzweigungen der einflussreichen Ministerialbürokratie scheint an Zurückweisungen auch Erkleckliches parat zu halten, hinzu kommt, dass die blumig als amakudari geschilderte Praxis für Retirierte angesichts der Veränderungen in der Wirtschaft einem immer kleiner werdenden Kreis zur Verfügung steht. Wer braucht schon einen madogiwa zoku zu teurem Salär?
In Frankreich gibt es die Redensart „Paris et le désert français“, was das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie bewertet. In Japan sind die Gegensätze zwischen den urbanen Agglomerationen und den Regionen noch eklatanter als es ein Aperçus auszudrücken vermöchte. Längst hat die Verschuldung der Gemeinden dramatische Formen angenommen und ihre Zukunft gestaltet sich angesichts der demographischen Entwicklung wohl auch nicht rosiger. Der Autor legt die Grenzen lokaler Demokratie offen, beschreibt die mannigfaltigen Verpflichtungen der Tokioter Abgeordneten für ihre ‚Hinterbänkler’ und die unübersehbaren Auswirkungen einer politischen Strategie, die als Universalgenialität die Bauindustrie an der Infusionsnadel öffentlicher Aufträge hält.
Das komplizierte Verhältnis Japans zu seiner Vergangenheit wird auch nicht ausgespart, wobei die Dinge einer etwas differenzierteren Betrachtungsweise unterzogen werden, als es gemeinhin geschieht. Dem ist durchaus etwas abzugewinnen, wenngleich ich das Verhältnis zwischen Japan und den beiden Koreas einer ausgewogenen Herangehensweise ebenso für wert befunden hätte. [Tatsächlich gibt es nicht nur den Disput, der immerhin eine wechselhafte Geschichte von mehreren Jahrhunderten zur Grundlage hat, sondern auch seit Jahren durchaus tragfähige Kooperationen zwischen der Republik Korea und Japan.]
Dass es mit den Beziehungen zur VR China seine eigene Bewandtnis hat und die Heuchelei der europäischen Staaten, wie der USA, fatale Entwicklungen auf dem Parkett der Ostasienpolitik verantwortet, findet deutliche Worte. [Jüngst Jürg Dedial dazu in der Neuen Zürcher Zeitung: „Chiffre für Chinas enorme Rüstungsanstrengungen“, 11.1.2011.]
Ärgerlich erscheinen bisweilen die Druckfehler, welche aus künftigen Auflagen durch abermaliges Korrekturlesen getilgt werden könnten. [Der Russisch-Japanische Krieg trug sich nicht 1994/5 zu (S. 198), die Namen Tschiang Kai-schek (oder Chiang Kai-shek, S. 289) und Coudenhove-Kalergi (S. 315) sollten richtig wiedergegeben werden.] Die Größe des Schriftbilds mag zwar einerseits einer ökonomischen Begrenzung des Seitenumfangs geschuldet und damit dem Gebot, einen bestimmten Verkaufspreis zu halten, verpflichtet sein, ist aber andererseits wenig augenfreundlich. Wenn ich mir die Leseunlust der Kommilitonen meiner Studienzeit in Erinnerung rufe, nicht gerade eine Einladung, sich den gesamten Inhalt zu geben, der es unbestritten wert ist. Denn das Beanstandete spricht keineswegs gegen das Buch als Ganzes, das, wie gesagt, sehr kurzweilig gehalten ist und alles in allem uneingeschränkt empfohlen werden kann!



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