Von Anbeginn bis zur Gegenwart

Buchtitel: Kleine Geschichte Japans
Autoren: Maria-Verena Blümmel, Günther Distelrath, Axel Klein… Hrsg.: Josef Kreiner
Verlag, Erscheinungsjahr: Reclam, 2010
ISBN 978-3-15-010783-6

Übersichtliche Gesamtdarstellungen der Geschichte Japans bieten sich im deutschsprachigen Buchhandel gegenwärtig nicht eben viele an. Schon allein deswegen ist dieser Reclam-Band in Hardcover-Bindung sehr zu begrüßen. Dass darin auch noch der aktuelle Wissensstand berücksichtigt wird und dadurch gewisse ‚alte Vorstellungen’ verabschiedet werden, weist ihn als die beste Empfehlung für alle aus, die sich einen Überblick verschaffen wollen, ohne von der komplizierten Materie der Historie in ihren Detailverläufen überwältigt zu werden. Man mag vielleicht das eine oder andere als fehlend oder als zu wenig vertiefend ausgeführt bekritteln, aber in seiner Gesamtheit ist das von einer Autorengemeinschaft verabreichte Kompendium beeindruckend und nützlich.
Dem Ansatz, der traditionellen Epocheneinteilung allenfalls mit Vorbehalten zu folgen, um eine bessere Vergleichbarkeit mit ähnlichen oder geradewegs anders verlaufenden Entwicklungen in Europa zu gewinnen, bzw. einer gewissen Betriebsblindheit innerhalb der japanischen Geschichtsschreibung zu entgehen, eignet durchaus etwas Anregendes. Außerdem scheint es eine taugliche Handhabe gegen gängige Ideologeme zu bieten. Ich muss gestehen, dass ich hier erstmals über die Emishi gelesen habe, die als eine der autochthonen Völker Japans zu gelten haben, die mit ihrem Los der kulturellen Assimilierung dem Schicksal der Ainu wie den Stämmen des Königreichs Ryūkyū vorausgegangen sind. Die wirklich nicht gerade übersichtlichen Abläufe in der Ära der streitenden Daimyate vor der Reichseinigung ohne Weitschweifigkeit zu erhellen, ist nur ein Verdienst dieses Buches. Die sich wandelnde Rolle des Tennō im Verlauf der Geschichte, die wenig bekannte traditionelle Aufsässigkeit der bushi, die Entwicklungen des Bauernstandes, der Gewerbetreibenden und der Händler innerhalb der Beschränkungen eines (neo)konfuzianisch begründeten Weltbildes und die sich daraus allmählich formierenden Widersprüche zu benennen, ein weiteres.
Der gegenwärtig geführte Diskurs innerhalb der deutschsprachigen Sinologie, den eine Auseinandersetzung mit dem diesjährigen Friedensnobelpreisträger (2010, Liu Xiaobo) anstieß, wurde jüngst mit einem Hinweis auf die Reichhaltigkeit der politischen Philosophien Chinas bereichert, die einer vermeintlich traditionellen Demokratieresistenz gerade nicht das Wort redet [vgl.: „Alle sind gleich. Nur die Chinesen nicht. Sind Menschenrechte universal? Zur Debatte um den Friedensnobelpreis und den Kulturalismus. Von Heiner Roetz“, in: Süddeutsche Zeitung (292), 17.12.2010, S. 12]. Im Zusammenhang mit Japan werden auch gerne Traditionen sozialer Bewegungen ‚übersehen’, wenn sie nicht ins Konzept passen. Insofern ist folgender Einschätzung Detlev Taranczewskis besonders beizupflichten: „Die Modernisierung und Modernisierungsfähigkeit Japans setzt nicht erst mit dem Auftauchen der Europäer ein, ihre Wurzeln sind viel älter, sie reichen bis weit in das japanische Mittelalter zurück.“(S. 148) Auf den Seiten davor wird die höchst aufschlussreiche Geschichte der ikki (Einungen) vorgestellt.
Ich denke, das Buch hält das Zeug über kurz zum Vademekum aller an japanischer Geschichte Interessierten zu avancieren!



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