Diskriminierte Minderheit

Buchtitel: „Fremde“ im eigenen Land. Die „Burakumin“ in der modernen japanischen Literatur
Autorin: Renate Jaschke
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2007
ISBN 978-3-89129-192-4

Am Umgang mit Minderheiten offenbart sich die mentale Verfassung einer „Mehrheitsbevölkerung“ auf mitunter entlarvende Weise. Als Österreicher lebt man diesbezüglich in keiner Vorzeige-Nation, verweigert doch ein Bundesland dem nicht-deutschsprachigen Teil seiner Einwohnerschaft ein durch das Grundgesetz verbrieftes Recht. Das Interesse an diskriminierten Bevölkerungsgruppen im Ausland kann dazu verhelfen über Missstände im eigenen Land hinwegzusehen. Renate Jaschke weist an verschiedenen Stellen ihrer Arbeit darauf hin, dass die Befassung mit den „Burakumin“ Anstoß geben möge auch vor der eigenen Haustür zu kehren und über „Ausgegrenzte“ seines Gesichtskreises nachzudenken.
Beim Ansprechen der „Burakumin“-Problematik wurde mir bislang von japanischer Seite immer beschieden, dass es die nicht mehr geben würde. Außerdem wären das allesamt Koreaner gewesen. Ein gar nicht so seltenes Ressentiment, wie auch die Autorin belegt (vgl. S. 30). Allerdings: „Bei den ‚Burakumin’ handelt es sich um eine Minorität, die sich in ethnischer und kultureller Hinsicht keineswegs von der japanischen Mehrheitsbevölkerung unterscheidet (…).“(S. 13)
Traditionell hatten die den „Burakumin“ zugeordneten Menschen mit so genannten unreinen Berufen (z. B.: der Lederverarbeitung) und mit Handlungen zu tun, die durch die Vorstellungswelt des Shintoismus und durch buddhistische Verbote stigmatisiert waren. Die besondere Infamie der „Mehrheitsbevölkerung“ im Umgang mit den „Burakumin“ bestand darin, dass man zwar ihre Produkte nachfragte – man kann sich keine Samurairüstung in Holz geschnitzt denken – sie aber gesellschaftlich ächtete und mit allerlei Vorurteilen belegte. De jure änderte sich dies zwar 1871 mit dem „Burakumin“-Dekret, die etwa gleichzeitige Preisgabe der Monopolisierung ihrer Handwerke ruinierte allerdings deren Lebensgrundlage nachhaltig, sodass mit der offiziellen gesellschaftlichen Gleichstellung die soziale Deklassierung kraft Verarmung einherging oder weiterhin bestehen blieb. Übrigens beinahe bis in die Gegenwart (wenn man der Conclusio des Uno-Sonderberichterstatters Doudou Diene über die Lage der Menschenrechte in Japan, 2005, folgt).
Renate Jaschke geht es in ihrer ursprünglich als Dissertation angenommenen Arbeit weniger um die Rekonstruktion der Sozialgeschichte einer japanischen Minderheit. Vielmehr untersucht sie, wie sich diese in der belletristischen Literatur widerspiegelt. Anhand ausgewählter Werke einer vorurteilsbehafteten, sowie einer literarisch-aufgeklärten Tradition, die auch gegeneinander kontrastiert werden, erschließt sie sowohl stereotype als auch klischeefreie Darstellungsformen. Eingebunden in die jeweiligen Abfolgen der realistischen Erzählweise, die sich in Japan in der Auseinandersetzung mit der europäischen und nordamerikanischen Literatur herausgebildet haben, beleuchtet sie Anspruch und Gehalt dieser Traditionen. Wobei, was die erstgenannte Linie anbelangt, besonders das Zitat von Watanabe Naomi erhellt: „Gerade die ungeheuerlichsten Werke sind von denen mit den besten Absichten geschrieben worden.“(S. 262)
In einem abschließenden Kapitel wird der literarische Umgang mit dem „Fremden“ in einen größeren Zusammenhang gesetzt und etwa der Darstellung der „Schwarzen“ in der Literatur nachgegangen.
Angesichts der Tatsache, dass zu Minderheiten in Japan monographische Arbeiten in deutscher Sprache nicht gerade reichlich verfügbar sind und die Abhandlungen in den wissenschaftlichen Zeitschriften sich nicht immer jener Verbreitung erfreuen, die sie verdienten, sei dieses Buch jedem empfohlen, der sich für die „Burakumin“ interessiert. Manch einem wird anhand der literaturwissenschaftlichen Analyse darüber hinaus zusätzlich die eine oder andere literarische Empfehlung geboten.



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