Shinto & Co.

Buchtitel: Japanische Religionen
Autorin: Michiko Yusa [Aus dem Amerikanischen von Annette Nau]
Verlag, Erscheinungsjahr: Herder, 2007
ISBN 978-3-451-05865-3

Gleich vorweg: Es gibt wenige Bücher die auf knappem Raum (185 Seiten) derart viele Details über die japanische Kultur versammeln wie dieses. Wer einen gerafften Überblick über die geschichtlichen Entwicklungen und die Formen des Religiösen in Japan gewinnen möchte, der greife sich dieses Buch. Dazu ist es nicht einmal erforderlich, nach Lichtenberg, seine Beinkleider zu versetzen, auch wenn man deren mehrere besitzt.
Die Autorin ist Professorin für Japanische und Ostasiatische Studien an der Western Washington University und eine ausgewiesene Kennerin der Materie. Die Lektüre wird einem nie langweilig, auch nicht an den Stellen, wo einem die verschiedenen, mitunter miteinander hadernden buddhistischen Schulen durcheinander geraten. [Sich diesbezüglich nicht auf die erschöpfende Wiedergabe aller Verästelungen zu versteifen, ist allerdings kein Manko der Abhandlung.]
Man könnte vielleicht kritisieren, dass Religion als Begriff gar nicht definiert wird. [Shingo Shimada hat darauf verwiesen, dass das im europäischen Kontext entwickelte Begriffsverständnis im Japan des späten 19. Jahrhunderts nur sehr zögerlich übernommen wurde.] Was aber im Prinzip wurscht ist, weil dem Leser ja von vornherein klar ist, dass er über Shinto, Buddhismus, Konfuzianismus, Yin-Yang-Lehre, Christentum in Japan und allenfalls Schamanismus Auskunft erhalten möchte. Vielleicht wäre als einzige vermeintliche Leerstelle die Bedeutung der Schamaninnen, die wohl ähnlich der koreanischen Mudang wirkten oder wirken, festzuhalten. Allerdings treten die im Zusammenhang mit den im 19. Jahrhundert neu entstehenden Sekten mehr oder weniger deutlich in Erscheinung (so gründet etwa Nakayama Miki die Tenri-Sekte), was die Autorin keineswegs unter den Tisch fallen lässt.
Shinto gilt als die autochthone Religion Japans (was natürlich nicht heißt, dass die Menschen der Jomon-Periode bereits Shintoisten gewesen wären oder die Ainu eine wie auch immer geartete Affinität dazu gehabt hätten). Der Begriff, in der Bedeutung von „Weg der kami“, kommt erst auf, als es galt diese „Selbstverständlichkeit“ gegenüber dem sich ausbreitenden Buddhismus abzugrenzen. Die Autorin beschreibt die elementaren Mythen und sie gibt die Gepflogenheiten in der wichtigsten Schreinanlage, nämlich jener von Ise, wieder. Besonders das Ritual des sengu, die alle zwanzig Jahre stattfindende Erneuerung sämtlicher Gebäude.
Mit der Dominanz des Buddhismus kommt es zu merkwürdigen Verschmelzungsformen und zur Interpretation von Shinto-Gottheiten als Emanationen Buddhas. Dass in der Ära der Streitenden Reiche auch kriegerische Mönche Partei ergriffen, nahm dem Ansehen des Buddhismus in Japan letztlich den Nimbus. Hinzu traten Dispute zwischen einzelnen Schulen, die dem einfachen Volk als Haarspaltereien erschienen. Es erging sich darüber in spöttischen Theaterstücken, wie dem kyogen „Lehrdebatte“ (S. 93).
Das Christentum hatte seine Vertreibung von den japanischen Inseln letztlich der Übertragung der europäischen Interessenkonflikte, die sich in der Unterstützung der verschiedenen missionierender Orden und deren hegemonialen Interessen spiegelte, zu verdanken. Trotz der rigiden Christenverfolgung konnten französische Geistliche dann in der beginnenden Meiji-Ära in Nagasaki eine überlebende Gemeinschaft von Krypto-Christen (kakure kirishitan) entdecken.
Die Autorin beschreibt die mit allerlei Widerständen anlaufende Genese des so genannten Staats-Shinto und dessen Kulmination, sie erwähnt die zahlreichen Sekten, geht auf die wechselhafte Situation der Frauen ein, deren spiritueller Rang im Lauf der Geschichte starken Schwankungen unterworfen war und referiert die jüngere Entwicklungen (z. B. das leicht bizarre Phänomen des mizuko kuyo). Den pragmatisch anmutenden Umgang der Japaner mit Shinto-Schreinen fasst sie in folgenden Satz: „Solange es Wünsche gibt, wird es für die Japaner immer Shinto-Schreine geben.“(S. 163)
Dem Buch beigegeben ist ein Glossar der Fachbegriffe. Im Anhang findet sich weiters eine synoptische Zusammenschau der wichtigsten historischen Daten in Abgleichung mit weltgeschichtlichen Verläufen. Ein sehr brauchbares Kompendium!



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