Höhepunkte japanischen Kunstschaffens

Buchtitel: Skulptur im alten Japan. Von den Anfängen bis zum 13. Jahrhundert
Autor: Hans Günter Wachtmann
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2006
ISBN 3-89129-588-X

Der Autor des vorliegenden Werkes, Hans Günter Wachtmann, hat vor einigen Jahren zusammen mit Ingrid von Kruse einen sehr ansprechenden Bildband über “Daisen-in. Ein Zen-Tempel des 16. Jahrhunderts in Kyoto” vorgelegt. In den Rezensionen wurde vor allem die eingängige Vermittlung dieses einzigartigen Gesamtkunstwerks hervorgehoben.

Die Dinge so darzustellen, dass sich auch dem kunsthistorisch weniger Beflissenen anregende Perspektiven eröffnen, gelingt dem Autor mit dem vorliegenden Werk aufs Neue. Das den Text begleitende Bildmaterial ist von eindrücklicher Qualität. Zu Recht wird in der Einführung darauf hingewiesen, welche Schwierigkeiten es bereiten kann, Skulpturen angemessen zu konterfeien, d. h. den größtmöglichen Informationsgehalt in die Abbildung einfließen zu lassen. Den zumeist aus japanischen Beständen stammenden Vorlagen haftet diesbezüglich keinerlei Makel an. Manche Objekte dürften überhaupt zum ersten Mal Eingang in eine Publikation außerhalb Japans gefunden haben. Somit empfiehlt sich das Kompendium dem am Künstlerischen wie am Kunsthistorischen Interessierten gleichermaßen.

Der Autor beginnt seine Betrachtung mit Darstellungen aus der Vorzeit. Vor allem die von Harada Masayuki so genannte “Venus der Jōmon-Zeit” (Abbildung S. 14) hat in der Schlichtheit ihrer Formgebung etwas Bezwingendes. Bekanntlich hat der Gestus der so genannten primitiven Kunst dem künstlerischen Ausdruck des 20. Jahrhunderts unschätzbare Impulse geliefert. Kann es überhaupt eine höhere ästhetische Offenbarung geben als künstlerische Überzeugungskraft von zeitloser Gültigkeit?

Allen hier zur näheren Beschreibung versammelten Plastiken und Figurinen gemeinsam ist ihre (ehemals) religiöse oder kultische Bedeutung. Wobei die Ikonographie der Darstellung erst mit dem Auftreten des buddhistischen Formenkanons zweifelsfrei zu lesen ist. Wachtmann skizziert wie diese für Japan neue Religion über chinesische und vor allem koreanische Vermittlung um 600 in Japan Fuß fassen konnte, wie die religiöse Auffassung, die in der Modellierung der Skulpturen zu bildhaftem Ausdruck gerann, allmählich jene Eigenständigkeit gewann, wie sie für die japanische Spielart der buddhistischen Kunst geradezu typisch werden wird.

Die großen Religionen der Welt formen sich nicht zuletzt in ihrer Rolle der Welterklärung zu hochkomplexen Angelegenheiten. Verstärkt wird diese ganze, für Außenstehende mitunter nur schwer zu gewinnende Übersichtlichkeit noch durch zahlreiche Abwandlungen. Wer im Falle des Buddhismus meint, mit Hīnayāna, Mahāyāna und “Diamantenem Fahrzeug” wären sämtliche Schubladen etikettiert, der irrt. Ebenso in der Erwartung, es kämen lediglich Buddha und immer die gleichen Bodhisattvas zur Darstellung. Und wie Christus in der christlichen Kunst nicht “irgendwie” abgebildet zu werden pflegt, unterliegt die Verkörperung Buddhas ebenfalls der Strenge eines gewissen Formenkanons und teilen Aspekte seiner Darstellung dem Eingeweihten Dinge mit, die der unbedarfte Betrachter ohne Vermittlung nicht zu deuten vermag. Die Geste der erhobenen, offenen Hand etwa gilt als Ermunterung (des Gläubigen), fügen sich Daumen und Zeigefinger zum Kreis, ist das der Verweis auf das Rad (des Lebens und des achtfältigen Pfads), die vorgestreckte offene Hand, wenn sie nicht gleich das Wunschjuwel trägt, symbolisiert Wunschgewährung. Der Autor gibt seinen Beschreibungen unaufdringlich diese Auslegungshilfen bei.

Viele Skulpturen gingen im Lauf der Zeit ihre Farbigkeit verlustig. Etwa der Kōmoku-ten (S. 32) im Hōryū-ji (Nara), einer der Vier Himmelskönige auf dem Weltenberg Meru, um 650 in Holz gearbeitet. Er steht, angetan mit vornehmer Kleidung und ausgestattet mit seinen Attributen Pinsel und Schriftrolle, etwas säulenartig auf einem besiegten Dämon, der beinahe einem Chak-Mol aus Mesoamerika gleicht. Derselbe Kōmoku-ten wird hundert Jahre später für den Tōdai-ji in Ton modelliert (S. 52 und Buchtitel), findet sich nun allerdings in militärisch anmutender Gewandung und mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes behaftet, den man nicht zum Gegner haben möchte. Etwa zeitgleich entsteht das frappierend realistische Abbild des in tiefer Meditation versunkenen, blinden Priesters Ganjin in so genannter Trockenlacktechnik [eine mühselige Herstellungsprozedur, der man sich meines Wissens in Europa niemals auf gleiche Weise befleißigte]: “wahrscheinlich die bedeutendste Porträtskulptur (…), die jemals nach dem Leben in Japan gemacht wurde.”(Fußnote S. 82, Dietrich Seckel zitierend).

Die Figur des rikishi (S. 89) gleicht aufs Haar und in strotzender Gebärde einem Bekannten von mir. Mit dem Unterschied, dass die japanische Figur überzeugend ins 8. Jahrhundert datiert wird und mein Bekannter als ein ins 21. Jahrhundert verfrachteter Anachronismus aus dem 20.

In der Plastik der Kichijō-ten (S. 114), “der Göttin des Glücks, der Schönheit und des Verdienstes”(S. 113), gewinnt eine der wenigen weiblichen Jenseitigen anmutige Gestalt. Übertroffen wird sie meines Erachtens nur noch durch die Darstellung der Mawara-ō (S. 136) im Sanjūsangen-dō (Kyōto) aus dem 13. Jahrhundert: Im Konterfei könnte man die Betende für ein Meisterwerk Ernst Barlachs erachten. Ich bin mir nicht sicher, ob die europäische Bildhauerei zum Vergleichszeitpunkt bereits ähnliche Qualität (wieder) erreichte.

Die lebensechten Abbilder der Brüder Seshin und Muchaku (S. 128) des Meisters Unkei (frühes 13. Jahrhundert) in Holz, mit eingesetzten Augen aus Kristall, bezeugen noch einmal einen Höhepunkt japanischer, buddhistisch inspirierter Bildhauerkunst. Als die Rinzai-Zen-Schule kulturell dominierend wird, geht ihre Ära zu Ende. Die allmähliche Hinwendung auf Gartenkunst und Malerei wird sie beerben.

Dem Buch beigegeben sind ein Glossar, sowie eine chronologische Übersicht der historischen Ereignisse.

Auch im Hinblick auf die Tatsache, dass der deutschsprachige Buchmarkt mit Neuerscheinungen zum Thema nicht gerade überschwemmt wird, ist die Anerkennung auszusprechen, dass es sich bei dem vorliegenden Werk um eine sehr verdienstvolle Veröffentlichung handelt.



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