Shinzo Abe – nächster japanischer Ministerpräsident?

Als aussichtsreichster Kandidat im Rennen um die Nachfolge des retirierenden Ministerpräsidenten Koizumi dürfte sich Kabinettssekretär und Regierungssprecher Shinzo Abe profilieren. Er gab am Freitag der Vorwoche seine Kandidatur für das Präsidium der regierenden Liberaldemokratischen Partei bekannt. Die Wahl erfolgt zunächst parteiintern, die darauf folgende Kür in den beiden Abgeordnetenkammern des Tokioter Reichstages am 26. September ist dann, kraft der Mehrheitsverhältnisse, nur noch Formsache. Die bislang als Mitbewerber gehandelten Persönlichkeiten, Außenminister Taro Aso und Finanzminister Sadakazu Tanigaki gelten als chancenlos. Letzter ist zumindest als prononcierter Gegner von Koizumis Besuchen am Yasukuni-Schrein in Erscheinung getreten. Die Beziehungen zu Japans Nachbarstaaten hält er für vordringlich verbesserungswürdig (und folgt damit einer klaren Linie von Vertretern der japanischen Wirtschaft), außerdem erachtet er eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes zur Stützung des Sozialsystems für unerlässlich. Im Gegensatz dazu scheint Shinzo Abe die von Koizumi eingeschlagene Linie in der Außenpolitik weiterzuverfolgen. Allein sein Ansinnen, Artikel 9 der Japanischen Verfassung einer Revision zu unterziehen, um Japans Selbstverteidigungsstreitkräften den Status einer regulären Armee zu verschaffen, die bei internationalen Operationen mitmischen kann, wird nicht nur in Korea mit gemischten Gefühlen wahrgenommen. Der anonyme Kolumnist der Asahi Shimbun bemerkt dazu heute (04.09.2006):

“But before he begins talking about the postwar regime, we want to know how he views Japan’s prewar history of aggression. Abe is known for his evasive answers on this subject, simply stating that issues of wartime responsibility and other matters are best left to historians. Past prime ministers have expressed the nation’s regret over the war and have apologized for Japan’s colonial rule and invasion of other countries. Will Abe maintain this same view of history?”

Der südkoreanische Außenminister Ban Ki Moon hat Abe der Bereitschaft Seouls versichert, die Gespräche zwischen den beiden Staaten wieder in Gang zu bringen. Über den heutigen und morgigen Tag erstrecken sich in Koreas Hauptstadt die bereits zur Tradition gewordenen Zwei-Tages-Gespräche zwischen Vertretern der koreanischen und japanischen Administration. Japans Vizeaußenminister Shotaro Yachi plant noch einen Besuch dieser Woche zur Initiierung eines “strategischen Dialogs”. Der ehemalige japanische Außenminister Nobutaka Machimura wollte inzwischen erfahren haben, dass ein chinesisch-japanischer Gipfel noch dieses Jahr zustande kommen könnte.

Quellen:

Abe officially enters LDP presidential race. The Asahi Shimbun, 01.09.2006
Der Mann, der Japan wieder stolz machen will. [Angela Köhler] Die Presse, 02.09.2006, S. 11
Shinzo Abe präsentiert seine Ziele. [Thomas Fuster] Neue Zürcher Zeitung (203), Internat. Ausgabe, 02./03.09.2006, S. 4
Regierungssprecher will Präsident werden. Süddeutsche Zeitung (202), 02./03.09.2006, S. 8
Editorial: Abe’s campaign pledges. The Asahi Shimbun, 04.09.2006
Seoul willing to resume summits with Abe. The Japan Times, 04.09.2006
China summit possible this year: Machimura. The Japan Times, 04.09.2006
Abe wants to review Constitution so Japan can exercise collective security rights. Mainichi Shimbun, 04.09.2006
Japan to conduct survey off Dokdo. The Korea Herald, 04.09.2006
Abe will try to set up summits with Seoul, Beijing if elected [Hiroko Nakata]. The Asahi Shimbun, 07.09.2006
New leader to be named on Sept. 26. The Japan Times, 08.09.2006

Die Zitierung ostasiatischer Zeitungen erfolgt noch deren Online-Ausgaben.

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