Nichts gesehen?

Buchtitel: Fukushima mon amour. Brief an eine japanische Freundin
Autor: Daniel de Roulet. Aus dem Französischen von Maria Hoffmann-Darteville
Verlag, Erscheinungsjahr: Hoffmann und Campe, 2011
ISBN 978-3-455-40352-7

Einige Zeit nachdem der Tsunami 2004 Phi Phi Island überrollt hatte, verpackte der Schriftsteller Josef Haslinger seinen persönlichen Schadensbericht in einen viel beachteten Essay. Die Katastrophe und die mehr oder weniger gelehrige Reflexion darüber scheinen seit Plinius einander nicht fremd. Die Sache muss aber nicht zwangsweise immer gelingen.
Der Titel dieses schmalen Bändchens kommt etwas anmaßend daher, was wahrscheinlich nicht vom Autor zu verantworten ist, setzte er dem Original doch den Titel Tu n’as rien vu à Fukushima voran. An die großartige Duras darf man in diesem Zusammenhang freilich nicht denken, wenngleich sich ein Satz aus ihrer autobiographischen Notiz Schreiben (Écrire) aufdrängt: „Schreiben heißt auch, nicht zu sprechen.“
Aus welcher Position kann man von Europa aus über Fukushima handeln, ohne brüskierend zu erscheinen? Der Autor, der sein Schreiben an eine gewisse Kayoko in Tokio richtet, ist sich seiner prekären Außensicht durchaus bewusst. Hat er doch seine Erfahrungen gemacht mit fiktionalen Darstellungen japanischer Sichtweisen, die ihm von einem japanischen Publikum nicht immer goutiert worden sind. De Roulet ist mit der Anti-Atomkraft-Bewegung bestens vertraut. Seine Erwähnung der Polizeigewalt während der Demonstrationen gegen den Bau des Superphénix in Malville haben mir die Photodokumentationen von Günter Zint [Gegen den Atomstaat. Frankfurt am Main, 1979] aus diesen Jahren wieder in Erinnerung gerufen. Schon vor drei Dezennien wurde in sachkundigen Arbeiten zum Thema nachgewiesen, dass es eine sogenannte friedliche Nutzung der Kernenergie gar nicht geben kann [vgl. etwa Roßnagel, Alexander: Bedroht die Kernenergie unsere Freiheit? München, 1983]. Genugtuung kann einen angesichts der atomaren Katastrophe im Land des Kirschblütenschauens freilich nicht überkommen. Die ‚Kathedrale’ in Malville wird gegenwärtig demontiert, erfährt man. Die Gefahren, die von „fünftausend Tonnen Natrium“(S. 31) in den Reaktorbehältern ausgehen, sind aber kein Schmutz! Dass es die Einsatzkräfte in Fukushima mit dem sogenannten MOX zu tun kriegen, ist nicht weniger alarmierend.
Kann man überhaupt nichts tun? Der gegenwärtige japanische Premier Kan avisiert den Ausstieg aus der Atomkraftnutzung und steht nicht zuletzt dafür vor seiner politischen Demontage. Verfolgt man die internationale Berichterstattung ausländischer Korrespondenten in Japan, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Duldsamkeit der Menschen schön langsam an ihre Grenzen stößt. Ichimura Yuka übermittelt ihr „Tagebuch aus Tokio“ regelmäßig der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung. Stellenweise beklemmend.



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