Illuminiert in Japan

Buchtitel: The Tokyo Dairies. Einblicke in ein unbekanntes Japan
Autor: David Schumann
Verlag, Erscheinungsjahr: Bastei Lübbe, 2011
ISBN 978-3-404-60007-6

Jeder hat seine Japan-Erlebnisse. Unabhängig davon, ob es sie oder ihn überhaupt nach dorthin verschlägt. Mit den spannenderen Versionen können freilich jene aufwarten, die die japanische Wirklichkeit wirklich erleben. [Man kann die Wirklichkeit ebenso auch als Unwirtlichkeit empfinden, wenn man die Sorte Typ ist, die sich am Pascal-Bonmot, wonach alles Unglück der Welt daher rührt, dass die Menschen es nicht fertigbringen in ihren vier Wänden zu verbleiben, als einer feststehenden Wahrheit erfreut.]
Wie zum Beispiel David Schumann, der 2005 mit Ende Zwanzig als leicht angenagter Austauschstudent von Köln nach Tokio geht [okay: fliegt] und dort gleich einmal feststellt, dass als der Nationalsport Nummer 1 in Japan noch vor Harakiri & Karaoke das Sich-Besaufen rangiert. Er macht sich als Bassist einer Krawallband, Übersetzungsknecht, Schmachtross, Model und Student, dem, häufig verkatert, dennoch stets erfolgreich Kanjis zu pauken gelingt. Das Geschreibsel läuft hin und wieder ein bisschen sehr pop-stylish-mäßig aus dem Ruder und repetiert mindestens eine recht gebräuchliche Invektive bis zum Erbrechen oft, sodass man den Eindruck gewinnen könnte, man läse das Gelabere eines Stuckrad-Barre auf Speed. Diesem nervigen Slang kann man mittlerweile in jeder Sprache begegnen [bei Dorota Masłowska verfängt das vielleicht noch], aber das macht es auch nicht erträglicher. Allein die sich reichlich echauffierende Einschätzung all dessen, was eine/r als Zumutung empfinden kann, ermüdet irgendwann und man sehnt sich zur Abwechslung nach einem zeitgenössischen Lafcadio Hearn.
Es muss nicht jeder seine Japan-Erlebnisse mit sich selber austragen. Man kann sie auch in ein Tagebuch einfließen lassen. Wer ist es noch gleich gewesen, der gesagt hat, wer Tagebuch schreibt, lügt sich selbst in die Tasche? Rainald Goetz? Wolf Wondratschek? Egal, Schumann fabuliert einem was vor, was nicht einmal geflunkert zu sein braucht. Kurzweilig, stellenweise, doch vom Gehalt her eher so: Alle Klischees, die man sich über Japan ausmalt, sind so was von wahr, meine Fresse! Oder: „Oh Mann, dieses Land ist so der Hammer!“
P.S.: Mit der Einschätzung des mühsamen Films Lost In Translation von Coppola geh’ ich d’accord. Freilich auch was Yeopgijeogin geunyeo von Kwak Jae-yong angeht. Ansonsten? Es gibt bessere Musik. (The Smith natürlich ausgenommen!)



Ein Kommentar

  1. Hab das Buch selbst vorgestern zu Ende gelesen. Trotz der derben (und manchmal übertrieben vulgären) Ausdrucksweise muss ich zugeben, dass mich selten ein Buch so gefesselt hat. Wenn ich eine Geschichte in weniger als drei Tagen komplett fertig lese ist das eher die Ausnahme und genau das ist hier passiert.
    Es ist einfach unglaublich was der Autor in seinen zwei Jahren in Japan alles erlebt hat. Trotz (oder vielleicht aufgrund?) seines destruktiven Lebensstils haben sich im Gelegenheiten aufgetan, von denen man als Normalsterblicher selten bis nie in den Genuss kommt. Dieses Abenteuer im Kopf miterleben zu können war schon unterhaltsam. Muss dem Autor auf jeden Fall zugute halten, dass er sich trotz seiner Ängste voll und ganz auf die Stadt eingelassen hat. Anders als viele andere, die zwar über Japan schreiben, allerdings nur Dinge zu berichten wissen die von ihrer eigenen Ignoranz zeugen.
    Als Resümee zwar kein japanischer Kulturbericht, aber ein für mich äußerst unterhaltsamer Einblick in den Überlebenskampf eines ausländischen Einzelkämpfers in der Großstadt Tokyo. Ein (Tage!)Buch ohne Anspruch auf gesellschaftlichen Mehrwert.

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