Universalratschläger

Buchtitel: Säcke der Weisheit und Meere des Wissens. Alte japanische Hausbücher – ein kulturgeschichtliches Lesebuch
Auswahl: Hartmut O. Rotermund
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2010
ISBN 978-3-86205-012-3

Heutzutage geht man, wenn’s einem wo weh tut, zum Arzt und verfährt desgleichen mit seinen Haustieren. Wenn im Garten die Äpfel an den Ästen faulen, ehe sie reifen, wird man schwerlich Umtriebe von mit Menschen Schindluder treibenden Geistern vermuten. Und tritt man eine Reise an, braucht man kein Fresspaket unter Beschwörungsformeln zu schnüren und sich für gewöhnlich auch nicht um die Trinkwasserqualität vor Ort, an dem man absteigt, weiß Gott was zu kümmern. Dass das früher anders gewesen ist und sich ‚Otto Normalverbraucher’ eben anderswie behelfen musste, belegen selbst in unseren Breiten alle möglichen Ausprägungen von Aberglauben und ‚Geheimwissen’, wie ebenso die Tradition der wohlmeinenden Ratschläge. Wer würde bei Schluckauf gleich den Chirurgen konsultieren, anstatt es erst mit Geduld oder einem überlieferten Hausmittel zu versuchen? Einander alles Gute, viel Glück und Gesundheit zu entbieten, entspricht nicht nur dem Gebot der Höflichkeit, sondern lässt sich genauso gut der Wortmagie zuschreiben, wie man ihr im Althochdeutschen bereits in den ‚Merseburger Zaubersprüchen’ begegnet.
Es überrascht nicht, dass das in der Kultur Japans ähnlich gelagert ist, wenngleich freilich kosmologische und mythologische Hintergründe jeweils andere sind. Aber die Bemühungen der Menschen, sich mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln vor Gefahren, Gepresstheiten und sonst welchen Nöten zu feien, entspringt zweifellos dem gleichen Bedürfnis nach Selbsterhalt und Wohlergehen. Der Verfasser, Emeritus der Pariser Sorbonne, hat sich über Jahre die Mühe auferlegt, alte japanische Hausbücher, vornehmlich der Edo-Zeit, zu sammeln und Auszüge daraus einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen. Das vorliegende Kompendium überzeugt als sehr kurzweiliges Konvolut einer Fülle kulturgeschichtlicher Details, die einen oft schmunzeln machen [Trinkerheilmethode: Das Blut eines weißen Hundes mit Sake mischen. (vgl. S. 129)] oder Kopfschütteln lassen [Nicht wirklich empfehlenswert: Meereswasser mit Hilfe von Federn seihen, um Trinkwasser zu gewinnen. (vgl. S. 127)]. Die Ratschläge, Verfahrensweisen, Heilssprüche, Tipps und Anekdoten finden sich nach Unterteilungen geordnet, wie ‚Haushalt, Arbeit und Handwerk’ oder ‚Krankheit, Schwangerschaft, Unfälle’. Zahlreiche, ebenso den Hausbüchern entnommene Holzschnitte illustrieren das Vorgestellte. Ausführliche Erläuterungen zu den originalen japanischen Begriffen, zu den Homophonien in den Beschwörungen und Gedichten, als auch zu historischen und mythologischen Besonderheiten verleihen dem Buch nahezu das Gewicht eines Nachschlagewerks. Natürlich ist dem ein ebenso aufschlussreicher Literaturanhang beigegeben.
Die Zweckdienlichkeit der Darlegungen über „die Machenschaften von Füchsen und Dachsen“(S. 321) mag vielleicht in Frage stellen, wer es selbst nie mit einem vom Fuchsgeist besessenen Tropf zu tun gekriegt hat. Die Gründe für die vielen Hinweise zur Auswahl des richtigen Zeitpunkts, beispielsweise für das Auspflanzen von Setzlingen und Jungbäumen, den Hausbau, den Bambusschnitt oder die Geburt von Kindern, erscheinen freilich eingängiger. Teilen wird man ferner auch folgende Einschätzung: „Wichtig ist, das richtige Schuhwerk zu besitzen.“(S. 318) Eine zeitlose Empfehlung, die man jedem Halbschuhtouristen in alpinem Gelände hinter die Ohren schreiben wollte! [Das tragische Schicksal, das 2010 ein Ensemblemitglied der Wiener Philharmoniker am Berg Fuji ereilte – war es mangelnder Trittsicherheit zuzuschreiben?]
Wir haben es hier mit einer Arbeit zu tun, die auch außerhalb der Kreise der Japanologie von allen an kulturgeschichtlichen Überlieferungen Interessierten gerne zur Hand genommen werden wird.



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