Fast alles über Japan

Buchtitel: Xcentric Culture. A Geek in Japan
Autor: Héctor García [Aus dem Spanischen von Susanne Viegener]
Verlag, Erscheinungsjahr: Egmont, 2009
ISBN 978-3-7704-3297-4

Ich muss zugeben, ich hatte weder eine Ahnung was man unter einem ‚Geek’ versteht, noch dass mein Wortschatz dieses Begriffs ernstlich ermangelte. Aber die Sache wird gleich zu Beginn des Buches aufgeklärt.
Es ist ein reich illustriertes, thematisch vielfältig erschlossenes Handbuch, das einem alles Mögliche über Japan, die Kultur seiner Menschen, über Sehenswürdigkeiten und Absonderlichkeiten nahebringt. Basierend auf den einschlägigen Erfahrungen eines in Japan lebenden, spanischen Computer-Fuzzis.
Selbst wer sich ganz gut bewandert dünkt, kann daraus Nutzen ziehen. So war mir nicht bewusst, dass Japan als Weltzentrum des Heuschnupfens anzusehen ist! 20 Millionen Menschen macht der kafunshō zu schaffen, was hauptsächlich auf den Pollenflug der Zedern zurückzuführen ist (S. 43). Das älteste Unternehmen der Welt existiert in Japan seit 1400 Jahren und schlägt damit so manche ‚steinalte’ Dombauhütte in Europa um Längen.
Dass die Japaner das ‚change management’ erfunden haben, bringt einem auch selten wer nahe. Auf Japanisch: kaizen.
Was man in Unternehmen unter nemawashi versteht, wird ebenso anschaulich erläutert (S. 64), wie man für den Hinweis, welcher Bahnlinie in Tokio unter Selbstmördern der Vorzug gegeben wird, dankbar sein kann. Tatsächlich verrechnen private Linien den Hinterbliebenen horrende Entschädigungsgebühren (vgl. S. 76). Man könnte glatt für möglich halten, das Wort ‚Versicherung’ wäre im Japanischen ein Unwort.
Wer oder was gal sind, weiß ich jetzt: Ziemlich freakige junge Frauen. Ebenfalls gerne ausgelassen in Büchern über Japan wird ein bedenkliches soziales Phänomen, das als enjo kōsai bezeichnet wird und mittlerweile auch in die Filmwelt Eingang gefunden hat. [Dass mit ‚Samaria’ von Kim Ki-duk ein Streifen aus Südkorea das kontroverseste Drama zum Thema geliefert hat, stellt allenfalls unter Beweis, dass sich das Phänomen ausgebreitet hat.]
Der Satz „Japan gehört zu den Industrienationen mit der niedrigsten Kriminalitätsrate.“(S. 70) scheint ja der Wahrheit zu entsprechen. Wie er sich aber mit der Einsicht „Die Yakuza stellen in Japan ein großes Problem dar und breiten sich immer weiter aus […]“(S.71) vereinbaren lässt, ist mir schleierhaft.
Die spanische Originalausgabe dieses durchaus originellen und anregenden Buches erschien 2008. Trotzdem kommen die geschilderten sozialen Verhältnisse etwas zu blauäugig rüber. Eben erst hat das japanische Sozialministerium unter der neuen Regierung Hatoyama mit einer Tradition der Vorgängerregierungen gebrochen, nämlich die nach Richtwerten sämtlicher OECD-Staaten erhobene Armutsrate nicht zu veröffentlichen. Eine Behauptung wie „[…] alle Menschen haben Arbeit und genügend Geld für ihren Lebensunterhalt und Fälle von extremer Armut gibt es kaum.“(S. 68) muss daher Kopfschütteln machen. Natürlich soll einem damit die Freude und das Interesse an japanischer Lebensart nicht genommen werden. Aber die anderen, weniger schillernden Seiten wahrnehmen, kann eigentlich auch nicht schaden.



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