Verrückte Wolke

Titel: Ikkyu
Autor / Zeichner: Hisashi Sakaguchi [Aus dem Japanischen von Josef Shanel und Matthias Wissnet (Bd. 1), Jürgen Seebeck (Bde. 2 – 4). Mit einem Nachwort von Stephan Schumacher (Bd. 4)]
Verlag, Erscheinungsjahre: Carlsen, 2008 – 2009
ISBN 978-3-551-78061-4 (Bd. 1), ISBN 978-3-551-78062-1 (Bd. 2), ISBN 978-3-551-78063-8 (Bd. 3), ISBN 978-3-551-78064-5 (Bd. 4)

Zen-Meister gibt es zum Fische füttern. Und die Erlebnis-Literatur à la „Ich und die Chose mit der Sitzmeditation“ ist auch recht unüberschaubar und teilweise gar arg blümerant. Die Lebensgeschichte des Mannes, der als Ikkyū Sôjun (1394 – 1481) im kollektiven Gedächtnis der Japaner haften geblieben ist, setzt sich davon allerdings angenehm ab. Überhaupt scheint er der Tradition der „heiligen Narren“ zu entspringen, wie sie in allen Religionen irgendwann einmal auftauchen, um dem institutionalisierten Dünkel aus Bigotterie und Machtversessenheit, sowie einem zu Formelhaftigkeit erstarrten Zeremoniell den Spiegel der Kenntlichkeit vorzuhalten. Freilich geht das nicht ohne blaue Flecken ab, aber in den Zeiten von Ikkyūs Wirken waren blaue Flecken wohl die deutlich harmloseren Blessuren, die einer sich zuziehen konnte. Fällt doch in die Muromachi-Ära nicht nur der Dauerkonflikt der streitenden Daimyate, sondern wurde die Bevölkerung abseits der unablässigen Kriegshändel auch noch von verheerenden Naturkatastrophen und Missernten gepresst. Ein Zeitrahmen himmelschreiender Not, in der Heerscharen von Höflingen Intrigen sponnen und Vertreter von Adelshäusern einander die Schwertklingen an die Kehlen setzten.
Die einzelnen Lebensstationen von Ikkyū Sôjun sind freilich dermaßen von Legenden überrankt, dass schwer auszumachen ist, was als historisches Faktum zweifelsfrei bestehen bleibt. So folgt denn der ausgezeichnete Manga von Sakaguchi Hisashi einem Könnte-so-gewesen-sein, was aber trotzdem nicht der Schlüssigkeit entbehrt. Und unterhaltsam ist das obendrein!
Der spätere Zen-Meister wird als Sengikumaru der verstoßenen kaiserlichen Konkubine Iyono Tsubone geboren und tritt als Shuken in den Ankokuji-Tempel in Kyoto ein. Schließlich wird er Schüler des schrulligen Wander-Mönchs Keno. Nach dessen Ableben wechselt er unter dem Namen Sojun in den Zenkoan-Tempel am Biwa-ko, dem Meister Kaso vorsteht, wo er das Koan „Dongshans 60 Stockhiebe“ löst und den komischen Namen Ikkyū erhält. Der lebenslange Antagonist Soi Yoso, ein schnöseliger Stutzer, tritt hier auf den Plan. Das Erleuchtungszeugnis, nach dem andere wie nach einem Ornat gieren, weist er zurück. Und stapft stattdessen in die Welt hinaus, wo er einige nicht gerade mönchische Allüren an den Tag legt. So teilt er die Frauenverachtung des Buddhismus nicht nur überhaupt nicht, sondern geht zu den Freudenmädchen und spricht dem Alkohol zu. Schließlich verliebt er sich an seinem Lebensabend in die blinde Sängerin Shin und stirbt, beinahe siebenundachtzigjährig, eine kunterbunte Anhängerschar hinterlassend, an den Folgen der Malaria.
Der historische Kontext ist in diesem wunderbar gezeichneten Manga immer präsent. Seit „Barfuss durch Hiroshima“ von Nakazawa Keiji scheint mir auch niemand das Leiden der gewöhnlichen Menschen so deutlich in den Blick genommen zu haben. Stellvertretend für die bedrückenden Ereignisse des vorgegebenen Zeitrahmens seien hier nur die Kansho-Hungersnot, der Kakitsu-Aufstand und der Eikyo-Krieg erwähnt.
Abschließend ein Zitat aus Band 2 (S. 67): Fischersfrau: „Die Mönche reden immer von Erleuchtung, aber was erlangt man dadurch?“ – Mann: „Na, eben Erleuchtung, Dummerchen.“
Wärmste Empfehlung!












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