Sinnsuche einer Generation

Buchtitel: Und unsere Tage waren es doch
Autor: Shibata Shō. Aus dem Japanischen von Peter Silesius
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2009
ISBN 978-3-89129-993-7

Verblüffend ist weniger die Tatsache, dass dieser „uralte Roman“ (der Verfasser im Gespräch mit seinem Übersetzer) endlich in deutscher Übertragung erscheint, sondern dass er es in den ersten zehn Jahren seit seiner Originalpublikation in Japan auf über 90 Auflagen (!) gebracht hat. Der anhaltende Erfolg ist umso erstaunlicher, als die Protagonisten des Romans einer Elite von Studenten/Akademikern angehören, die in ihren Sturm-und-Drang Jahren allesamt eine Beziehung zur Kommunistischen Partei verbindet. Von einer breiten Massenbewegung linker und linksradikaler Ideologien konnte in Japan eigentlich nie die Rede sein.
Tatsächlich hat die Schilderung des entscheidenden Kurswechsels der Kommunistischen Partei Japans vor dem Hintergrund weltpolitischer Ereignisse in den 1950er Jahren (Ausbruch des Korea-Kriegs, Friedensvertrag von San Francisco, Japanisch-Amerikanischer Sicherheitspakt) wenig Spannungsmomente, obgleich in Wirklichkeit die Abkehr von der Militanz mit der gesellschaftspolitischen Entwicklung nicht gerade parallel gelaufen ist. Die Größe des Romans erweist sich jedoch weniger im Konterfeien historischer Abläufe, als in der Schilderung der Gemütslagen einer Studentengeneration. Wahrscheinlich ist das auch das entscheidende Kriterium seines bis heute ungebrochenen Erfolgs.
Wenn man mit der Lektüre erst einmal in die Gänge gekommen ist, meint man einen existentialistischen Roman à la japonaise vor sich zu haben, Sartres „La nausée“ eben auf Japanisch. Die Fragen, was bleibt, angesichts der eigenen Vergänglichkeit, was es ist, das das Leben ausmacht und was echte Liebe einem abverlangt, durchziehen den Roman und machen ihn zeitlos. Verpatzte Gelegenheiten, radikale Selbstinfragestellungen und die Eingliederung in ein größeres Ganzes, kurz: Selbstfindung und Selbstbehauptung in Abhängigkeit von einer Welt, mit der man sich in Beziehung setzen muss plagen als Herausforderungen ja nahezu jede(n).
Der Ich-Erzähler Fumio erinnert ein wenig an die Figur des Major Delaplane in Bertrand Taverniers großartigem Film „La Vie et rien d’autre“, der seine Liebesfähigkeit erst anzunehmen versteht, als die Frau seines Lebens bereits entschwunden ist. Setsuko entwindet sich nach einem Selbstmordversuch einer gemeinsamen Zukunft mit Fumio, die sich ihr als Horror einer schlecht verabredeten Alltagsroutine ankündigt.
Verbindende Elemente bilden ein antiquarisches Buch, das einer aus der Hand gab, ehe er Hand an sich legte, und Briefe, die nach Erklärungen suchen oder Abbitte leisten.
Die Prosa, generell getragen von einem eingängigen Duktus, enthält viele Perlen. Eine Lieblingsstelle: „Wenn sie hell auflachte, blitzten ihre kleinen Augen wie die einer Feldmaus.“(S. 81)
Shibata Shō erhielt 1964 für Saredo warera ga hibi den Akutagawa-Preis. Dem Roman ist auch in seiner deutschen Ausgabe eine große Leserschaft zu gönnen.



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