Schattseite, japanisch

Buchtitel: Geisha. Vom Leben jenseits der Weidenbrücke
Übersetzer aus dem Japanischen: Michael Stein
Verlag, Erscheinungsjahr: Insel, 1998
ISBN 3-458-16891-5

Nein, das ist nicht das Buch zum Film mit Ziyi Zhang! Vielmehr handelt es sich um eine Kompilation zweier Werke zum Thema. Zum einen um Ryūkyō shinshi von Narushima Ryūhoku, original erschienen in zwei Teilen 1860, bzw. 1874, sowie um Geisha, kutō no hanshōgari von Masuda Sayo, erstmals 1957 in Japan verlegt. Der Übersetzer, ein ausgewiesener Japankenner, hat ein Standardwerk zur Geschichte der japanischen Kurtisanen verfasst. [Eine Besprechung desselben findet sich auf diesen Seiten!]
Narushima Ryūhoku schildert die Zustände im Vergnügungsviertel Yanagibashi (Tokio) in der Zeit um 1860, bzw. zehn Jahre später. Wiewohl er sich selbst einmal als “verschrobener, törichter Scholar”(S. 16), ein andermal als “bettelarmer Studiosi”(S. 31) bezeichnet, der all das Geschilderte nur vom Hörensagen kennen will, ist diese Haltung sehr rasch als Understatement durchschaut. Seine Beschreibungen strotzen vor Zitaten und Anspielungen aus der klassischen chinesischen Literatur. Die Position seiner Beobachtung ist vielmehr die des kenntnisreichen Gönners, der nur gelegentlich Verständnis durchblicken lässt für die “Geisha, die sich aus Armut und Not selbst zur Ware machen”(S. 34). Nützlich war mir aus der Vielzahl der philologischen Verweise vor allem der Hinweis auf Tomoe, der Geliebten des Minamoto no Yoshinaka (12. Jhdt.), die unerschrocken an der Seite ihres Geliebten focht und ihm mehrmals das Leben gerettet haben soll. Da ist sie endlich, die japanische Hu San Yang!
Die Lebensgeschichte der Masuda Sayo hingegen, in unverblümter, zuweilen ungelenker Sprache verfertigt, ist starker Tobak. Die kleine Sayo wird als uneheliches Kind von ihrer eigenen Mutter verstoßen, wächst unter Liebesentzug, schikaniert und geprügelt bei Bauern auf, wird mit 12 Jahren vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs an ein Geisha-Haus in Kamisuwa verkauft, macht die Tortur einer Geisha-Ausbildung (z. B. Shamisen üben in frostiger Zugluft) durch und findet sich in einer Existenz fern aller glanzvollen Klischees, in denen sich Menschen aus Verzweiflung den Tod geben (ihre Geisha-Schwestern, ihr leiblicher Bruder). “Auf Leute, die unsere Welt nicht kennen und nur die Oberfläche zu sehen bekommen, wirken wir vielleicht vergnügt, im Innern aber sind wir wundenbedeckt und weinen immerzu vor Leid.”(S. 177).
Im Nachwort verweist der Übersetzer auf eine gerne übersehene Tatsache: “Die holden Schönheiten im Geisha-Gewerbe rekrutieren sich aus den Verlierern der Gesellschaft: Es sind Töchter verelendeter Eltern, die sich durch den Verkauf ihrer Kinder zu sanieren trachten, oder Mädchen, die im Kindesalter missbraucht worden sind; es sind ungewollt zur Welt gekommene Kinder oder Opfer zerrütteter Familienverhältnisse, die im Geisha-Gewerbe zusätzlich missbraucht und ausgebeutet werden, bis sie, ausgelaugt und seelisch verkrüppelt, sich selbst überlassen werden.”(S. 305)



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