Hinweis auf ein Standardwerk

Buchtitel: The Japanese Mafia. Yakuza, Law, and the State
Autor: Peter B. E. Hill
Verlag, Erscheinungsjahr: Oxford University Press, 2006
ISBN 0-19-929161-6

Dieses Buch ist im Frühjahr als Paperback-Version des 2003 aufgelegten Erstdrucks erschienen. Der Autor ist Soziologe an der Universität von Oxford (Großbritannien). Wer an einer zeitgemäßen Aufarbeitung organisierter Kriminalität in Japan interessiert ist, kann an dieser Studie unmöglich vorbei. Im Gegensatz zu deutschsprachigen Sociologica, die eine Lektüre durch das exzessive Auslegen von Fußangeln recht bald zur selbstschinderischen Übung verkommen lassen, liest sich das Ganze sehr flüssig. Der Autor mauert seine Erkenntnisse nicht in ein Anmerkungsgewölbe ein, das zu knacken nur imstande ist, wer das Fachkauderwelsch beherrscht. Somit wird das Buch zur Handreichung für alle diejenigen, die sich informieren wollen, unabhängig davon, ob sie sich zur scientific community zählen oder nicht. Einzige Voraussetzung bleibt natürlich ein gewisses Verständnis der englischen Sprache.
Grundlagen der Untersuchung bilden die kaum mehr überschaubare Literatur zum Thema, Aufzeichnungen der japanischen Behörden, sowie Experteninterviews. Der Begriff “Mafia” auf japanische Verhältnisse umzulegen ist natürlich umstritten. Hill verweist darauf, dass das sizilianische Phänomen Muster zeitigt, die in Konstellationen krimineller Gruppierungen anderer Länder (USA, China, Russland) ebenfalls zutage treten. Ob das hinreicht, Mafia als terminus technicus universal zur Anwendung zu bringen, bleibe dahingestellt, ist aber für die Synthese des Buches von geringer Bedeutung.
Das Werk hebt an mit einer Charakterisierung und Definition organisierter Kriminalität, es schildert die historische Entwicklung der japanischen Verhältnisse, beschreibt die Organisationsstrukturen der Yakuza, ihre “Geschäftsfelder”, die Geschichte der “Anti-Yakuza-Gesetze” , sowie das Schicksal derselben vor dem Hintergrund der bubble economy in den Anfängen der Ära heisei, um mit der Erkenntnis zu schließen: “… it is highly unlikely that yakuza interaction with the legitimate world will ever entirely disappear, regardless of administrative orders or other legal prohibitions.”(S. 246)
Die historischen Wurzeln der Yakuza sind komplex und durch kolportierte und lieb gewonnene Mystifizierungen überlagert. Ursprünglich wurde die Bezeichnung auf bakuto (Spieler) und tekiya (vagabundierende Bettler) bezogen, das Wort selbst verweist auf einen Kniff im traditionellen japanischen Kartenspiel. Neben Yakuza ist für das Gangsterwesen auch die Bezeichnung bōryokudan gängig. An Orten mangelhafter oder überhaupt fehlender polizeilicher Administration und in Zeiten da die hatamoto yakko (eine Art Schutztruppe des Shoguns) zunehmend willkürlich agierten und gewöhnliche Stadtbewohner drangsalierten, formierten sich Gruppen zur Selbstverteidigung (zusammengesetzt aus Spielern, Handwerkern und Feuerwehrleuten), die so genannten machi yakko. In einem Rückverweis auf diese Tradition reklamieren Größen der Yakuza noch heute gerne für ihre Organisationen, einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Ordnung zu leisten. Voraussetzung für die Verhältnisse der Gegenwart bilden vor allem die Entwicklungen der Shōwa-Zeit, und da zunächst die Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegsära unter US-amerikanischer Besatzung. Tatsächlich dauerte es eine Weile (und es standen zunächst auch dringendere Probleme zur Bewältigung an) das japanische Polizeiwesen neu zu formieren. Was Wunder, dass das die Hoch-Zeit des klassischen Aufgaben-Portefeuilles der Yakuza (Schutz) werden konnte. Hinzu traten ein Engagement im Schwarzhandel (mit den rationierten Gütern des täglichen Bedarfs) und ein Einstieg ins Drogengeschäft (vor allem Amphetamine). Der Glücksspielbereich (hauptsächlich pachinko) verfügte sich fast gänzlich in koreanische Hände. Die Bandenkriege und die Herausbildung der drei großen Yakuza-Gruppen, von denen die Yamaguchi-gumi die wohl bekannteste ist, fallen auch in diese Epoche. Wie die japanische Gesellschaft, so ist auch die organisierte japanische Unterwelt vertikal strukturiert und wir finden auch hier das oyabun-kobun-Verhältnis. Die Teilorganisationen werden ikka oder eben kumi genannt. Wichtiges zeremonielles Brimborium (mit entsprechendem Symbolgehalt) stellen die sakazuki genannten Sake-Trink-Rituale dar, bei der die Anzahl der gekippten Becher mit dem Status des Trinkenden in der Trinkrunde korreliert. Hill beschreibt Rekrutierungsablauf und Ausbildung, sowie das Sanktionsrepertoire innerhalb der Organisation (die Fingerkuppenabtrennung ist dezidiert ein Auslaufmodell!). Dabei wird gleich mit einem Klischee aufgeräumt: “… we should note, that yakuza conflicts generally are remarkably unbloody”.(S. 210) Sehr ausführlich wird auf die Einkommensquellen oder “ökonomischen Aktivitäten”, shinogi genannt, eingegangen: Schutz(-geld), Glücksspiel, Arbeitsvermittlung (vor allem im Baugewerbe), Prostitution, Geldverleih, Schuldeneintreibung, Grundstücksspekulation, Bankrottmanagement, Erpressung und bestellte Rufschädigung, Unterwanderung sozialer Bewegungen, gefakte rechtsextreme Parteien und sogar legale Geschäfte.
Legistische Maßnahmen zur Eindämmung der organisierten Kriminalität, die unter dem Kürzel bōtaihō zusammengefasst, in den 1990er Jahren vom Gesetzgeber verabschiedet worden sind, um dem Wandel in der japanischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, werden in ihrer Herleitung und Wirksamkeit einer kritischen Bewertung unterzogen. Als besorgniserregend dürften vor allem Gegenseitigkeitsverhältnisse der Yakuza mit höchsten Ebenen der (vorwiegend rechten und nationalistischen) Politik gelten. Einige Parade-Skandale der jüngeren Vergangenheit werden den an japanischer Politik Interessierten wieder ins Gedächtnis gerufen. Es werden auch Möglichkeiten erwähnt, die sich Betroffenen eröffnen, die mit ihrer kriminellen Karriere Schluss machen wollen.
Im Vorwort zur Neuausgabe seines Buches verweist der Autor auf ein im Internet abrufbares Postskript, das die aktuellen Entwicklungen der Szene einfängt (z. B. “Führungswechsel” an der Spitze der Yamaguchi-gumi). Ähnlich einer Firma, die von den Zeitläuften nicht überrollt werden will, reagiert auch die Yakuza flexibel auf verwandelte Umweltbedingungen und neue Herausforderungen.



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