Ein Lexikon zur japanischen Kulturgeschichte

Buchtitel: Japan. Land der aufgehenden Sonne
Reihe: Bildlexikon der Völker und Kulturen, Band 5
Autor: Rossella Menegazzo (Aus dem Italienischen von Caroline Gutberlet)
Verlag, Erscheinungsjahr: Parthas, 2008
ISBN 978-3-936324-78-5

Dieses Nachschlagewerk kann jedem ans Herz gelegt werden, der einen ersten Einblick in Japans Kulturgeschichte gewinnen möchte. Einzelne Aspekte werden knapp und übersichtlich geschildert und das tadellose Photomaterial wird auch für diejenigen ein Gewinn sein, für welche die Texte dann vielleicht doch etwas zu lapidar ausfallen. Studierende der Japanologie und andere Interessierte vom Fach werden mit dem Literaturapparat denkbar knapp abgespeist und damit auf die einschlägigen Bibliographien verwiesen.
Unter den Kapiteleinteilungen „Bedeutende Persönlichkeiten“, „Macht und Öffentlichkeit“, „Religion und Philosophie“, „Alltagsleben“, sowie „Totenkult“ ist Wissenswertes zu ausgewählten Persönlichkeiten, Epochenabschnitten, Kunstwerken und Alltagsgegenständen versammelt. So erfährt man beispielsweise etwas über Nichiren, Murasaki Shikibu (die Verfasserin des Genji monogatari), über Utamaro, Hiroshige oder, mich besonders beeindruckend, über Hasegawa Tōhaku, einen einflussreicher Maler des 17. Jahrhunderts, der in Bildern wie dem „Gibbonaffen auf trockenem Baum“ oder „Kiefern im Nebel“ mit leichtem Pinselstrich einen verblüffenden Realismus gepflogen hat. Die vermeintlichen „Leerstellen“ seiner Malereien, die europäischen Betrachtern oftmals als Horror Vacui angekommen sind, zeigen in Wahrheit gar nicht das Nichts, wie einem die eingehende Betrachtung eröffnet.
Einer der mir am wenigsten geheuren Gestalten der japanischen Historie, Toyotomi Hideyoshi, auf dessen Konto eine der gewaltigsten Devastierungen der Kulturgeschichte geht (nämlich der koreanischen Halbinsel), findet in der Betrachtung über die so genannte Momoyama-Zeit Erwähnung (S. 143 f.).
Die Tatsache, dass das Schlüsselochgrab des sagenhaften Tennō Nintoku in Sakai (Abbildung auf S. 107 u. 357), bis zum heutigen Tag (nicht nur aus Gründen der Pietät) nie eröffnet worden ist, legt nahe, dass es sich bei der riesigen Tumulus-Insel wohl um das am seltensten betretene Fleckchen Erde in ganz Japan handeln muss.
Die wie filigrane Skulpturen sich erhebende Schlösser Himeji und Matsumoto (Abbildungen S. 150 f.), denen das militärisch Abweisende so gar nicht eignet, wie es Festungsbauten im Allgemeinen zukommt, zeigt vielleicht, dass sich in ihrer bloßen Erhabenheit vordringlich der Symbolgehalt von Macht zu spiegeln hatte und damit den mitteleuropäischen Burgen als durchaus wesensverwandt zu charakterisieren sind, die sich auch in den seltensten Fällen, im Gegensatz zu den romantischen Legenden, als Aufgebot gegen anbrandende Feindeskraft bewährten.
Die Kaiserliche Katsura-Villa in Kyōto (S. 152 ff.) zeigt wohl eine Idealvorstellung japanischer Raumaufteilung und ist in ihrer unprätentiösen Schlichtheit voller Anmut.
In den Artikeln, die sich mit Religion und Jenseitsvorstellung in Japan befassen, wird unter anderem dargelegt, dass das Shintō-Ritual des tagi heute nur noch Priestern obliegt. Früher war es angesagt, dass sich sämtliche Pilger dem martialischen Purifikationsritual ergaben: Sich unter einen eiskalten Wasserfall bugsieren und Gebete rezitieren (oder wohl besser: zähneklappernd brabbeln). Japanische Schamaninnen finden auch in diesem Buch keinerlei Erwähnung, was sie mir zu den ominösesten Gestalten von überhaupt macht.
Weiters beleuchtet werden u. a. die Kochkunst, die japanische Kunst des Blumensteckens, traditionelle Kleidung, Musikinstrumente und spielerischer Zeitvertreib. Auch das Bunraku-Puppentheater wird vorgestellt. Allerdings unterlässt es der Verfasser zu erwähnen, dass man zum Erlernen dieser Kunst einen ziemlich langen Atem braucht: Man startet als Azubi, der einmal den linken, dann den rechten Arm der Puppe bedient. Und die Legende will, dass man erst nach zehn Jahren von einem Arm zum nächsten wechselt. Und Hauptspieler wird man allenfalls nach dreißig Jahren. Es versteht sich von selbst, dass aufgrund dieser beinahe ewigen Lehrzeit, die wenigen lebenden Bunraku-Meister als so genannte lebende Nationalschätze wandeln. Faszinierendes Japan!



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