Japanische Märchen

Buchtitel: Harmonie im Widerspruch. Die Frau im japanischen Märchen
Autor: Hayao Kawai [aus dem Japanischen von Irene Büchli]
Verlag, Erscheinungsjahr: Daimon, 1999
ISBN 3-85630-581-5

Dieses Buch versucht nichts Geringeres als ein Verständnis Japans über den Umweg seiner Märchen zu erschließen. Der Autor ist Professor für Klinische Psychologie an der Universität von Kyoto und der C. G. Jung’schen Tradition verpflichtet. Das heißt, man sollte mit der typischen Terminologie (Bewusstes, Unbewusstes, Archteypus, …) ein bisschen vertraut und vielleicht, was die Person C. G. Jungs betrifft, etwas weniger voreingenommen sein als ich, um dem Mann elegant aufs Glatteis folgen zu können. Tatsächlich hat die Eröffnung, japanische Märchen seien grundsätzlich nicht mit den Märchen anderer Kulturen zu vergleichen, Charme. Schon ihre narrative Struktur folgte anderen Ansätzen, als beispielsweise die Märchen Europas. Dass hierzulande der Held am Ende das schöne Mädchen, oder gleich noch besser: die Prinzessin mit der feschen Mitgift, heiratet, hat in japanischen Märchen überhaupt keine Notwendigkeit. “In japanischen Märchen ist ein glückliches Ende mit einer Heirat relativ selten.” (S. 19). Plötzlich begreift man, wieso die beiden Antipoden japanischer Film und Happy End so häufig in eins fallen wie die Kombination Warzenschwein und die Farbe Ultramarinblau: Es ergibt sich schon allein deshalb nicht, weil ganz andere Geschichten erzählt werden. Im Grunde genommen Geschichten über “Nichts”. Allerdings ist dieses “Nichts” nicht das nichtende Nichts Heideggers (Das Nichts nichtet. – No na!), sondern die Verweisung auf das Selbst. Wird dieses weiblich besetzt, wie im Märchen “Das Land der japanischen Nachtigall” und den anderen im Buch vorgestellten, vermag über den Umweg der Deutung als Ich oder Sprechendes der japanischen Seele, die Entwicklung der Frau als Metapher für die ganze japanische Kultur stehen. Hayao Kawai ist natürlich nicht auf der Nudelsuppe daher geschwommen und weiß über die Tiefe von Märchen, die kaum je einmal erschöpfend auszuloten ist [was etwa auch dem Paradigmenwechsel in der zeitgenössischen Märchenforschung entspricht], Bescheid. Und japanische Märchen deuten zu wollen habe den überflüssigen Charakter einer Beförderung von Wasser zum Brunnen. [Vgl. S. 29] Mit diesem Kunstgriff gelingt es dem Autor geschickt zwei Fragen gar nicht erst aufkommen zu lassen: Zum einen jene nach der Dominanz des Weiblichen in der japanischen Kultur, zum anderen, zumindest tiefenpsychologisch zwingend, die nach der Furcht vor der Frau in der patriarchalisch strukturierten Gesellschaft der Gegenwart.
Nach der Lektüre drängt sich mir ein Bonmot von Hélène Cixous auf: “Ich habe keine Antworten. Aber an Fragen bin ich reich.”



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