Yasukuni

Geschichte und Gegenwart eines Schreins

In japanischen wie internationalen Medien sorgen Besuche des offiziellen Japan am Yasukuni Schrein immer wieder für heftige Debatten. Ob Koizumi als einen seiner letzten Auftritte seiner Amtszeit als Ministerpräsident am kommenden 15. August, dem Jahrestag der Kapitulation Japans, zum wiederholten Mal seinen Kotau am Schrein vollziehen und damit für einen absehbaren Eklat [19] sorgen wird, steht wahrscheinlich nur für ihn selbst bereits fest. Immer wieder hat er in diesem Zusammenhang betont, es handle sich um seine persönliche und freie Entscheidung. Indes sind Besuche am Schrein von einer Symbolkraft belastet, die gering zu schätzen oder klein zu reden einem Ministerpräsidenten wirklich nicht gut anstehen.

1869 wurde unweit des Kaiserpalastes in Tokio ein Shintō-Schrein mit dem Namen Shōkonsha (“Schrein zur Anrufung der Seelen”) errichtet, der den während des so genannten Boshin-Krieges gefallenen Kaisertreuen geweiht war [vgl. Z, S. 200]. In den Jahren 1875 und 1877 erfolgten jeweils Umwidmungen, 1879 die Umbenennung des Schreins auf Yasukuni (=friedliches Land) [Z, S. 229]. In Shintō-Ritualen sollte den Seelen verstorbener Krieger Besänftigung zuteil werden, durch den Schrein erhielten sie eine Heimstatt. 1881 wurde auf Wunsch des Militärs auf dem Gelände des Yasukuni jinja ein Museum zum Angedenken an den Südwestkrieg errichtet, das nach wie vor bestehende Yūshūkan [vgl. Z, S. 230 f.]. 1932 verlautete der damalige Kulturminister Hatoyama Ichirō, die Verbeugung am Schrein bezeuge Treue und patriotische Gesinnung [Z, S. 361]. Nach 1945 wurden dem Schrein die Seelen der Kriegstoten des Zweiten Weltkriegs zugeführt. Dennoch ist die Liste der Toten nicht als vollständig zu betrachten. Es fehlen die japanischen Gefallenen der Sibirischen Expedition (1918-1922), sowie die des Koreakriegs (1950-1953)[Z, S. 433]. Nicht die gewöhnlichen Kriegstoten machen einen Besuch am Schrein bedenklich, sondern die deklarierten Kriegsverbrecher. “Skandalöserweise wurden zudem am 17. Oktober 1978 die Seelen der 30 Jahre zuvor als Kriegsverbrecher der Kategorie A Hingerichteten bzw. vor ihrer Verurteilung Verstorbenen ebenfalls aufgenommen”[Z, S. 433]. “The class-A criminals were enshrined in the late 1970s”[23]. Yasukuni haftet der Ruch der “para-religösen Glorifizierung der gefallenen Soldatenâ€?[1] an.
Die Besinnung auf die unschönen Seiten der japanischen Vergangenheit scheint überhaupt ein wunder Punkt zu sein [9]. Mishima [1] spricht in diesem Zusammenhang offen von Geschichtsfälschung. Im Yūshūkan Kriegsmuseum wird ein bedenkliches Bild der Vergangenheit glorifiziert [6]. Revisionisten wie Sadanari Hisamatsu, Präsident des zugehörigen Fundraisings, behaupten, hier würde die richtige Geschichte gelehrt. Experten haben die Einseitigkeit der Darstellung immer wieder warnend hervorgehoben. Takakazu Kuriyama, ehemals Diplomat in den USA, hält Schrein-Besuche schon darum für nicht empfehlenswert [6]. Der Rechtsanwalt Nobuo Takai [3] kritisierte die brüske Ignoranz gegenüber den Gefühlen der Opfer. Ein Standpunkt, der ebenfalls von Politikern Südkoreas, Chinas und Taiwans vertreten wird [5]. Indes gibt es auch in Japan eine ganz andere Seite des Krieges zu erzählen, wie das Schicksal Ryutaro Hondas [2] belegt, der in Schulen Japans und sogar der Volksrepublik freimütig von seinem Soldatendasein berichtet.
Die Äußerung aus den Reihen der Asanagi, einer unlängst gegründeten Jugendgruppe zur Beförderung des Ansehens des Yasukuni-Schreins, Japans heutiger Wohlstand wäre den Kriegstoten zu danken [6], nimmt sich ähnlich zynisch aus, wie die Worte eines US-amerikanischen Politikers unter Ronald Reagan, die Atombomben hätten Japan angesichts seiner errungenen Wirtschaftskraft doch keinesfalls geschadet.

Mit dem Wissen in der breiten Bevölkerung über gewisse Details der jüngeren Vergangenheit, ist es nicht weit her. Anlässlich des Jahrestages des Tokioter Kriegsverbrecherprozesses veröffentlichte die Asahi Shimbun [7] kürzlich eine Umfrage mit einem betrüblichen Ergebnis. Über die Bedeutung dieses Tribunals für die Entwicklung Japans nach dem Krieg war sich kaum jemand im Klaren. Wenngleich an den rechtlichen Voraussetzungen des Prozesses, der gerade in diesen nicht mit dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zu vergleichen ist, etliches kritisierbar bleibt [R], so ist doch festzuhalten, dass die Anerkennung seiner Ergebnisse die Bedingung für die Wiedereingliederung Japans in normale internationale Verhältnisse bereitete. Eine Faktion innerhalb der regierenden LDP, die sich “Gruppe junger Abgeordneter, die für Frieden beten, über echte nationale Interessen nachdenken und Yasukuni-Schreinbesuche unterstützen” nennt, folgt in ihrer Einschätzung den Zweifeln des ehemaligen Premierministers Nakasone [8]. Der Abgeordnete Takeshi Noda (ebenfalls LDP) vertritt immerhin die Meinung, dass China zu Kritik an Japan berechtigt wäre, da Japan gegen China als Aggressor aufgetreten war. Tatsächlich aber spielten die asiatischen Opfer des Krieges im Tribunal von Tokio keine Rolle und selbst die Verbrechen der berüchtigten “Einheit 731” oder das Schicksal der so genannten Trostfrauen wurde darin nicht verhandelt [R].

“Zwischen 1945 und 2000 suchten dreizehn amtierende Premierminister (von insgesamt 23) zusammen 61 Mal den Yasukuni-Schrein auf (…)[Z, S. 432]. Koizumi wies Kritik an seinen Schreinbesuchen immer wieder zurück [11, 13], bisweilen auf eine Weise, als würde er berechtigte Ansinnen absichtlich entstellen [18]. Eine höchstrichterliche Entscheidung, angestrengt, die verfassungsgesetzlich gebotene, strikte Trennung zwischen Staat und Religion im politischen Handeln des Premierministers zu überprüfen [10], kann indes nicht als Legitimierung der Schreinbesuche gedeutet werden [15]. Taku Yamasaki (LDP) sieht sie nicht im Einklang mit der japanischen Verfassung [16], während Kabinettssekretär Shinzo Abe Koizumis Auftritte am Yasukuni-Schrein verteidigt [12]. Jüngst interpretierte er den Schrein sogar als säkulares Memorial [20].

Dass gerade jetzt wieder der Yasukuni-Schrein in aller Munde ist, hängt zum einen mit dem kommenden, symbolträchtigen 15. August zusammen, zum andern mit der bevorstehenden Wahl von Koizumis Nachfolger als Ministerpräsident [14]. Die Debatte beeinflusst wahrscheinlich die gesamte Kampagne. Potentielle oder vermeintliche Nachfolgekandidaten bringen sich in Stellung und werden mit Äußerungen zum Thema zitiert. Sowohl der Vizepräsident der LDP, Taku Yamasaki, als auch Finanzminister Sadakazu Tanigaki werden sich Besuche des Schreins versagen [21].
Man bekümmert sich, ob es nicht eine weniger verfängliche Gedenkstätte zur Ehrung der Kriegstoten gäbe [4]. Mit dem Friedhof von Chidorigafuchi gibt es sie tatsächlich und eine Vergrößerung des Areals wird gegenwärtig angedacht [17].
Jüngst wurde nun ein Gesprächs-Memo des Showa-Kaisers, eine Notiz, die Tomohiko Tomita bewahrte, der Öffentlichkeit bekannt [22, 24]. Darin äußert sich der verstorbene Kaiser Hirohito ganz klar: Durch die Inkorporierung der Kriegsverbrecher blieben ihm Besuche am Yasukuni-Schrein versagt. Sein Sohn, Kaiser Akihito, folgt diesem Beispiel. Allein Japans Noch-Ministerpräsident nicht.

Zitierte Quellen:
[R] Brandner, Judith: Das Tribunal in Tokio. Ö1 Journal-Panorama, Montag 31. Juli 2006, 18:25 Uhr
[Z] Zöllner, Reinhard: Geschichte Japans. Von 1800 bis zur Gegenwart. Paderborn, 2006

[1] Mishima Kenichi: Fehlende “Vergangenheitsbewältigung” in Japan. www.uni-muenster.de/PeaCon/wuf/wf-95/9521901m.htm (Zugriff am 30.01.2006)
[2] Onaga Tadao: Speaking out. The Asahi Shimbun, 03.03.2006
[3] Takai Nobuo: The victim psychology of the Yasukuni problem. The Asahi Shimbun, 07.03.2006
[4] Japan re-examines its war dead.
www.cnn.com/2006/WORLD/asiapcf/03/09/japan.warshrine.ap/index.html?section=cnn_latest (Zugriff am 09.03.2006)
[5] Backlash continues over Hu’s Yasukuni Shrine remarks. The Asahi Shimbun, 05.04.2006
[6] Matsubara Horoshi / Yoshitake Yu: History issue. The Asahi Shimbun, 19.04.2006
[7] Tokyo war crimes trial. The Asahi Shimbun, 03.05.2006
[8] Fukuda Hiroki: Facing up to history. Consensus on Asukuni remains elusive. The Asahi Shimbun, 17.05.2006
[9] Lym, Robyn: Taro Aso has a history problem with Australia. The Japan Times, 17.05.2006
[10] Koizumi visit to Yasukuni. The Asahi Shimbun, 26.06.2006
[11] Japan PM says shrine visit is not the only issue in Asian diplomacy. The Korea Herald, 29.06.2006
[12] Yoshida Reiji: No harm in Yasukuni visits, Abe figures. The Japan Times, 29.06.2006
[13] Koizumi may revisit Yasukuni before term ends. The Japan Times, 29.06.2006
[14] Ito Hiroshi: Koizumi poised to visit Yasukuni. The Asahi Shimbun, 29.06.2006
[15] High court rejects claims over shrine. The Asahi Shimbun, 29.06.2006
[16] Koizumi ally. Shrine visits may be unconstitutional. The Japan Times, 03.07.2006
[17] A way out? The Asahi Shimbun, 12.07.2006
[18] Yasukuni issue. The Asahi Shimbun, 07.08.2006
[19] Saito Makoto / Hirai Hisashi: Aug. 15 Yasukuni trip trumps all faux pas. China, South Korea preparing for fallout if Koizumi makes a last visit by. The Japan Times, 07.08.2006
[20] Morikawa Yoshihiko: Aso urges Yasukuni be secular memorial. The Asahi Shimbun, 07.08.2006
[21] Ito Masami: Avoid Yasukuni legacy. Former aide. The Japan Times, 08.08.2006
[22] Wakamiya Yoshibumi: Yasukuni shrine and class-a war criminals. Emeperor’s words and thoughts on Yasukuni. The Asahi Shimbun, 08.08.2006
[23] Yoshida Reiji: Aso wants Yasukuni as nonreligious war memorial. The Japan Times, 09.08.2006
[24] Fuster, Thomas: Japans Weg zur “normalenâ€? Nation. Das Ende der Selbstbescheidung auf sicherheitspolitischer Ebene. Neue Zürcher Zeitung, Internat. Ausg., 168, 22./23.07. 2006, S. 6

[Die Tageszeitungen The Asahi Shimbun, The Japan Times und The Korea Herald wurden in ihren jeweiligen Online-Ausgaben konsultiert.]

Weitere Quellen:
Selmann, Hoo Nam: Gefangene Seelen. Koreaner und Taiwaner fordern die Befreiung von Angehörigen aus dem Yasukuni-Schrein. Neue Zürcher Zeitung. Internat. Ausg., 301, 24./25.12.2005, S. 25
Bork, Henrik: Koizumi verteidigt Besuche am Kriegs-Schrein. Japans Ministerpräsident belastet das angespannte Verhältnis zu China und Südkorea zusätzlich. Süddeutsche Zeitung (4), 5./6.1.2006, S. 7
Huffman, James L.: Yasukuni shrine on the silver screen. Spirits of state. Japan Focus, 12.03.2006 (Zu finden auf: www.japanfocus.org)
Ozawa strikes out at Yasukuni visits. The Asahi Shimbun, 12.04.2006
Nakata Hiroko: Business lobby presses Koizumi to forgo Yasukuni. The Japan Times, 07.05.2006
Koizumi defies business leaders on Yasukuni. The Asahi Shimbun, 11.05.2006
Mori says next prime minister should not visit Yasukuni shrine. The Asahi Shimbun, 29.05.2006
Yoshitake Yu: Bridging the gap. Feisty stance on Yasukuni misses point. The Asahi Shimbun, 12.06.2006
Fuster, Thomas: Shinzo Abe – Favorit für Koizumis Nachfolge. Ist das Rennen um Japans Regierungsspitze bereits gelaufen? Neue Zürcher Zeitung. Internat. Ausg., 174, 29./30.07.2006, S. 5
Abe visited Yasukuni shrine in April. The Asahi Shimbun, 04.08.2006
Abe visited shrine in April, says it’s not election issue. The Asahi Shimbun, 05.08.2006
Koizumi ready to visit shrine ‘at any time’. Aug. 15 could be the day. The Japan Times, 07.08.2006
Yasukuni visits on Aug. 15 not in cards for 9 in Cabinet. The Asahi Shimbun, 09.08.2006
Nogami Yu: Can old twist on old plot defuse Yasukuni. The Asahi Shimbun, 09.08.2006
Two ministers to go to Yasukuni. The Japan Times, 09.08.2006

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