Buchtitel: Geschichte Japans. Von 1800 bis zur Gegenwart
Autor: Reinhard Zöllner
Verlag, Erscheinungsjahr: Schöningh, 2006
ISBN 3-8252-2683-2
Dem, der bedauert hat, dass ihm im deutschsprachigen Raum kein Kompendium zur jüngeren Geschichte Japans in die Hand gegeben wird, das mit Jonathan D. Spence’ übersetztem Standardwerk zur Geschichte Chinas halbwegs mithalten könnte, mag jetzt beschieden sein: Der Ziegel ist geschrieben worden! Mit Reinhard Zöllner hat ihn ein Hochschulprofessor für Ostasiatische Geschichte gebacken. [Das etwa zeitgleich in 14. Auflage erscheinende Buch “Das Japanische Kaiserreich” von John W. Hau ist nach wie vor in dem ziemlich leseunfreundlichen Druck der Reihe “Fischer Weltgeschichte” gehalten.]
Die sehr übersichtlich angeordnete Darstellung mit begleitendem Literaturapparat und brauchbarem Stichwortverzeichnis, setzt in der Ära Tokugawa an und durchmustert die Entwicklungen bis zur Gegenwart (Regierungsdevise “Heisei”). Wiewohl sich der Autor keineswegs in Details verliert, werden dem Leser zahlreiche Aspekte eröffnet, die zu weiterführender Beschäftigung anregen.
Etwa: Dass Hidetada 1616 seinen verstorbenen Vater Ieyasu vergöttlichen ließ, erinnert schwer an die spätrömisch-dekadente Praxis der automatischen Vergöttlichung verblichener Despoten (ehe man ihr Angedenken dann wenig später durch die damnatio memoriae tilgte).
Es gab an Fürstenhöfen zahlreiche wundersam klingende Ämter, wie beispielsweise den “Kommissar für die Reisstrohmatten”, die ihre Inhaber kraft beständigen Unterfordertseins regelmäßig dazu animierten allerhand Allotria zu treiben.
Der Tokugawa-Staat hatte einen beeindruckenden, landesweit operierenden Informations- und Kurierdienst installiert, der sogar dem Metternich’schen Spitzelwesen Respekt abgerungen hätte.
Im 19. Jahrhundert erlebte, vor dem Hintergrund der soziokulturellen Umwälzungen, die Furcht vor den rachegierigen Geistern Verstorbener eine seltsame, an epidemische Paranoia grenzende, Konjunktur.
1839 verlor Katsushika Hokusai durch einen Brand sein gesamtes Vermögen. (Allein mit dem Gegenwert der Abzüge seiner Werke, die sich heute im Wiener MAK befinden, wäre dem Manne geholfen gewesen.)
Wie Hachijōjima, gab es mehrere Strafinseln für Verbannte. Den Lebensbedingungen auf diesen nachzugehen, wäre eine eigene Studie wert.
Das Eintreffen der Schwarzen Schiffe unter Kommodore Perry erzwang die anstehenden Reformen mitnichten. Zöllner schildert eindringlich wie und warum Japan bereits viel früher auf die großen Veränderungen zusteuerte.
Dass sich Geschichte nicht durch die Schilderung chronologischer Abläufe erschließt, sondern allenfalls durch die komplexe Wirklichkeit gesellschaftlicher Zusammenhänge erklärt, Protagonisten etwa als Getriebene von Interessen im Wechselspiel der Kräfte auftreten, ist dem Autor bewusst. Er bleibt dabei nahe an den terminologischen Vorgaben des großen französischen Soziologen Pierre Bourdieu.
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