Klostergeschichte, unorthodox

Buchtitel: Tee mit Buddha. Mein Jahr in einem japanischen Kloster
Autorin: Michaela Vieser
Verlag, Erscheinungsjahr: Piper, 2010
ISBN 978-3-492-25858-6

Als die gebundene Ausgabe dieses Taschenbuchs 2008 im selben Verlag erschien, schwante mir: Wie originell, ein weiteres Selbsterfahrungsdiarium über einen Aufenthalt in einem japanischen Kloster! Wahrscheinlich zirkulieren weltweit mehr Offenbarungen über freiwillige Kasernierungen im Land der aufgehenden Sonne, als in ganz Friesland Heidschnucken grasen. Aber nicht selten schwant einem das falsche (mir zumindest) und der Erfahrungsbericht der ausgewiesenen Japanologin hebt sich von all dem Schwerverdaulichen so leichtfüßig ab, dass die Lektüre nachgerade als Vergnügen beschrieben werden muss.
Die Autorin lässt uns teilhaben an ihrer Ambition, Zeit in einem richtigen japanschen Kloster voller Schweigsamkeit, Sitzmeditationen und gedämpftem Gemüse zu verbraten und zu ihrer eigenen, vorerst nicht geringen Verwunderung, wird daraus eine Klostergemeinschaft in einer Kleinstadt auf Kyūshū, in der die Mönche verheiratet sind und das Asketentum für eine egoistische Verstiegenheit erachtet wird. Sie wächst in einen Kreis von Anhängern des Jōdo-Shinshū, der „Wahren-Schule-des-Reinen-Landes“, hinein und lernt so nützliche Fertigkeiten wie Tische so abzuwischen, dass es auch eine Japanerin zufriedenstellt und wie man Kleidungsstücke fehlerlos zusammen- und aufeinander legt. Daneben die Zeitung zu lesen (die japanische von vorvorgestern), Kalligraphie, Kendō, Blumenstecken, Tee trinken und warum man nach dem Holzbodenbohnern nach Zenmeistermanier einen ganz furchtbaren Muskelkater ausfasst. Die Menschen, denen sie dabei begegnet, schließen sie rasch ins Herz und dass es umgekehrt nicht weniger empathisch abgeht, belegen ihre einfühlsamen Beschreibungen. Man lernt eine Menge ganz normaler Leute kennen, denen weder Penetranz noch Präpotenz eignet, denen alles Sektiererische mangelt und deren Alltagsweisheiten vielleicht gerade darum so einfahren, weil sie eine Lebensfreude zu vermitteln verstehen, die im Vergleich dazu den europäischen ‚gesunden Menschenverstand’ ein wenig hölzern und verbissen wirken lassen. Das ist das wahre Leben in Eleganz! Die Autorin zeichnet eine gesunde Portion Selbstironie aus. Der „Clash of civilizations“ einmal nicht als (privates) Katastrophenszenario, sondern als Begegnung mit Witz geschildert. Ein ganz tolles Buch!
Eine Anmerkung: Die ningen kokuhō, die „lebenden Nationalschätze“(S. 226), gibt es nicht allein in Japan, sondern ebenso in der Republik Korea (Südkorea)!



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