Rakugo-Großmeister
Buchtitel: Seisuishō. Lachen, das den Schlaf vertreibt
Anekdotensammlung von Anrakuan Sakuden. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Yumiko Takahashi, Akira Hara und Heinz Morioka
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2010
ISBN 978-3-89129-994-4
Warum sich in Japan gewissermaßen eine „Kultur der Schlaflosigkeit“ entwickelt hat, in der wach zu bleiben nachgerade eine Tugend vorstellt, ist mir immer noch nicht ganz klar. Dass das Traumerleben Eingang finden konnte in mehr oder weniger tiefschürfende Betrachtungen und Deutungen, wie in Europa spätestens mit Artemidor von Daldis überliefert, scheint in Japan keinen besonderen Stellenwert gefunden zu haben. Die Anekdotensammlung des legendären Volkspredigers der buddhistischen Jōdo-Sekte aus dem 16./17. Jahrhundert, die hier in einer Auswahl erstmals auf Deutsch vorliegt, charakterisiert sich im Vorwort als Lektüre, die, indem man sich an ihr erbaut, dazu tauglich ist einem den Schlaf zu vertreiben.
Wenn man sich vor Augen führt, in welcher umwälzenden Ära sie entstanden sind und den kulturellen Wandel seither in Betracht zieht, mag es verständlich erscheinen, dass einem heute so manches schwer verständlich daherkommt. Außerdem ist der Wortwitz von gleichlautenden Worten mit verschiedenerlei Bedeutung kaum so in eine andere Sprache übertragbar, dass er sich genauso elegant erschlösse wie im Original. Der Anmerkungsapparat zu den Anekdoten versucht speziell für die deutschsprachige Leserschaft die jeweiligen Hintergründe und Zusammenhänge zu erhellen, sodass auch außerhalb des japanologischen Seminars die Lektüre uneingeschränkt empfohlen werden kann!
Anekdoten sind ihrer Natur nach kurzweilige Überlieferungen von Begebenheiten und mehr oder weniger moralisierende Fingerzeige, die japanische Tradition des Rakugo kennt darüber hinaus pointierte Wortspiele, hervorragende Taten von Persönlichkeiten, sowie Lehrbeispiele von Alltagskonflikten aus dem gewöhnlichen Volk. Die Erzählkunst selbst ist nahezu ein eigenes Handwerk, dem Professionisten auch heute noch einmal jährlich auf den ausgewiesenen Bühnen im Seiganji in Kyoto frönen, wie aus der Einführung zum vorliegenden Werk erhellt.
Die Sammlung erschließen Kapiteleinteilungen und ein ausführliches Register, das sowohl Personen- als auch Ortsnamen und anderes in romaji und kanji anführt. So vermag man etwa dem berühmten „Kiefernhain von Miho“ oder der Empfehlung „yoshi ni seyo“ in einer Geschichte (31) zu begegnen, dem Ausdruck „mizuiro“ in einer anderen (270).
Die dargelegten Sprachmissverständnisse, die einem so weit hergeholt nicht scheinen, dass man ihnen nicht selbst auch erliegen könnte, lassen einen schmunzeln. Die kulturgeschichtlichen Details erweisen sich als echte Bereicherung und nützliche Hinweise enthält das Buch ebenso zuhauf. So wird etwa darüber aufgeklärt, warum man während einer Umzugsfeier niemals sagen sollte, dass einen Sodbrennen zusetzt, da der japanische Ausdruck hierfür – „ mune ga yakeru“ – auch noch eine zweite Lesart kennt, die die Laune der Versammelten gehörig eintrüben könnte (219). Ein in mehrfacher Hinsicht hilfreiches Buch!
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