Leben im Prekariat

Buchtitel: „Freeter“ und „Generation Praktikum“ – Arbeitswerte im Wandel? Ein deutsch-japanischer Vergleich
Autorin: Carola Hommerich
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2009
ISBN 978-3-89129-856-5

Wer, außer denen die es müssen, liest eigentlich sozialwissenschaftliche Studien? Wer, abgesehen von Wissenschaftlern, Studenten und engagierten Journalisten? Andienen möchte man sie jedenfalls allen, die sich am jeweils ausgewiesenen Forschungsgegenstand interessiert zeigen und sich nicht mit dem Niveau der einschlägigen Ratschlägerei bescheiden möchten.
Die vorliegende Arbeit, mit der die Autorin an der Universität Köln dissertierte, kann auch jenen empfohlen werden, die die Methodologie der empirischen Sozialforschung leichtfertig unter den Generalverdacht des Dubiosen stellen. Hier wird quantitatives wie qualitatives Rüstzeug zur Anwendung gebracht, wie es besser gar nicht vonstatten gehen kann. Kein Arbeitsschritt bleibt unerklärt, die Gefahr eines ‚blinden Flecks’ im Forschungsfeld durch vielfältiges Rückversichern der Vorgehensweisen ausgeschlossen. Kenntnisreichtum des wissenschaftlichen Instrumentariums und die Versiertheit im Umgang mit der japanischen Sprache beeindrucken. Die Schwierigkeiten, die während Intensivinterviews zu unterschätzen man schon in seiner Muttersprache mitunter Gefahr läuft, sind dem Verfasser dieser Zeilen aus seiner eigenen Studienzeit geläufig. Die Problemlage ist in einer anderen Sprache, in einem anderen kulturellen Kontext, allerdings noch verschärft. Carola Hommerichs Erkenntnisgewinn aus den Befragungen in Deutschland und Japan stützt eine tadellose Vorbereitung, die etwa die japanische Übertragung des Interviewleitfadens nicht nur von einem in beiden Idiomen heimischen Experten überprüfen, sondern noch zusätzlich von einer japanischen Germanistin rückübersetzen ließ, um zu gewährleisten, dass in beiden Sprachen auch wirklich jeweils von ein und demselben die Rede war. Klingt aufwendig und kompliziert, aber Komplexität nicht zu scheuen ist in Zusammenhang mit Seriosität eine Grundvoraussetzung.
Untersuchungsgegenstand bilden verwandte Formen prekärer oder atypischer Beschäftigungsverhältnisse in (West-)Deutschland und Japan und die Selbsteinschätzung der Betroffenen im Kontext einer Dimension von ‚Arbeitswerten’. Wie sich diese Werte definieren, wie und auf welche Weise sie im interkulturellen Vergleich erhoben werden können, wird im theoretischen Teil der Arbeit abgehandelt. Dabei unterlässt es die Autorin keinesfalls, auch die Desiderate dieser Kulturen vergleichenden Disziplin anzusprechen. Denn: „Die Gefahr eines rein aus westlicher Sicht konzipierten Messinstruments besteht insbesondere darin, für bestimmte kulturelle Kontexte entscheidende Aspekte auszulassen.“(S. 239)
Die Befindlichkeiten der Angehörigen der „Generation Praktikum“, Hochschulabsolventen in nicht-regulären Arbeitsverhältnissen, stellen sich durchwegs als ernüchternd heraus. Ein Arrangement mit dem ‚Prekariat’, um dafür Lebensentwürfe im privaten Umfeld zu realisieren, scheint sich kaum zu vollziehen. Damit unterscheiden sich Westdeutsche deutlicher von den Freetern in Japan, von denen zumindest eine Gruppe die persönliche Entfaltung über das Ideal einer lebenslangen Anstellung mit entsprechender Versorgungssicherheit zu stellen vermögen.
Dass im Angesicht der gegenwärtigen Wirtschaftslage – Japans Industrieproduktion der letzten Monate hat ein Dezennientief erreicht – deutlich mehr Menschen in die beschriebenen Unsicherheiten abgedrängt werden, scheint einerseits absehbar. Andererseits wäre eine verstärkte gesellschaftsweite Debatte darüber zu führen, welche Auswirkungen es auf lange Sicht gesehen noch zeitigen wird, mit der ‚Ressource Mensch’ derartig zu verfahren.
Fazit: Eine aufschlussreiche, nachdenklich stimmende Studie.



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