Japanische Frauenschicksale
Buchtitel: In finsterer Nacht
Autorin: Higuchi Ichiyō. Aus dem Japanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Michael Stein
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2007
ISBN 978-3-89129-196-2
Dieses Buch vereint drei Erzählungen der japanischen Schriftstellerin Higuchi Natsuko (1872 – 1896), die unter dem Pseudonym Ichiyō veröffentlichte und, jung an Jahren, mit 24 an Lungentuberkulose starb. In Asien wie in Europa gleichermaßen die Malaise der Armen.
Die Erzählungen „In finsterer Nacht“, „Am letzten Tag des Jahres“ und „Die Nacht der Herbstmondfeier“ schildern jeweils drei unterschiedliche Frauenschicksale. Dabei scheint mir die Leistung des Übersetzers es wert, ganz besonders hervorgehoben zu werden. Liegt es am originalen Duktus der Vorlage oder in der einfühlsamen Art der Übertragung ins Deutsche – die Geschichten kommen jedenfalls alles andere als verstaubt daher. Der interessierten Leserschaft werden sehr eindringliche Abbilder der frühen Meiji-Zeit geschildert und vor allem die gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen Frauen wie Männer ihren Handlungshorizont jeweils bemessen fanden, verständlich gemacht. Dass die Situation für die Frauen aller Stände deutlicher restriktiver gewesen ist, ist durch ein geschichtliches Herkommen begründet. Gerne wird die so genannte „filiale Pietät“(Nachwort, S. 88) dem Einfluss des Konfuzianismus zugeschrieben. So hat sich etwa die Situation der Frauen in Korea ganz ähnlich entwickelt, mit dem Ergebnis, dass Feministinnen spätestens ab 1900 der Entmündigung mutige Lebensentwürfe der Emanzipation entgegen zu setzten trachteten.
Als genaue und reflektierende Beobachterin war es der Autorin Higuchi allerdings zu Eigen Schwarzweißzeichnungen zu unterlassen. In der geschilderten Welt, die ihrer selbst auferlegten Abgeschlossenheit verlustig gegangen war, sind traditionelle Lebensformen und die Gültigkeit gesellschaftlicher Zuweisungen in Auflösung begriffen, neue Lebensordnungen noch nicht gefestigt. Umso schmerzlicher wirkt es für die Protagonistinnen sich weiterhin einem Wertekanon unterworfen zu fühlen, der ihnen kein Mitspracherecht in der Gestaltung des eigenen Lebens einräumt.
Ob es O-Ran ist, die ehrbare Tochter eines Mannes, der durch Ränkespiel in den Ruin getrieben wurde („In finsterer Nacht“), oder das Mädchen O-Mine, das sich in einem reichen Haushalt verdingen muss, um die Not ihrer Angehörigen zu lindern („Am letzten Tag des Jahres“), oder O-Seki, die letztlich einer Ehe-Hölle nicht entkommt („Die Nacht der Herbstmondfeier“), sie alle verharren in einer Welt voller Bitterkeit.
Es ist sehr zu bedauern, dass es der Autorin nicht länger gegönnt war, den Aufbruch der japanischen Gesellschaft in die neu anbrechende Epoche zu begleiten. Ein Zitat aus „In finsterer Nacht“ scheint mir eine besonders süffisante Bemerkung: „Im Parlament, wo es nur nach männlichen Beamten riecht und Mädchenduft unbekannt ist, …“(S. 28). Was hätte Higuchi Natsuko wohl zur gegenwärtigen Repräsentanz der Frauen in den beiden Kammern des japanischen Parlaments zu sagen gewusst?
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