Lebenserinnerungen eines Japaners in Deutschland

Buchtitel: Ein Japaner in Deutschland. Die ‚moderaten’ Deutschen
Autor: Kennosuke Ezawa [aus dem Japanischen übersetzt von Silke Bock]
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2006
ISBN 3-89129-386-0 (978-3-89129-386-7)

Diese Betrachtungen eines Japaners, der über Jahrzehnte als Sprachwissenschaftler an deutschen Universitäten tätig gewesen ist, waren zunächst für ein rein japanisches Publikum gedacht. Durch die Bereitschaft des Verfassers, der Idee einer deutschsprachigen Ausgabe seine Unterstützung nicht zu versagen, vermag nunmehr ein erweiterter Leserkreis seiner Beschreibung des Lebens in der (alten wie neuen) Bundesrepublik teilhaftig zu werden.
Herr Ezawa war in zweiter Ehe mit einer (bereits verstorbenen) Deutschen verheiratet, mit der er drei Kinder groß zog. [Deutlich schimmert das Erziehungsideal nach Sir Peter Ustinov durch: Man sollte sich in jedem Fall bemühen seinen Kindern ein Vorbild zu sein; wenn es nicht anders geht, dann eben ein abschreckendes.]
Schon auf den ersten Seiten weist er dezent darauf hin, welche Turbulenzen es auslöste, als Japaner immer „deutscher“ zu werden, währenddessen seine Gattin immer „japanischer“ wurde. Der Umstand, dass er seiner Frau beim Erlernen der japanischen Sprache nicht beispringen konnte, da er einer entsprechenden Ausbildung dafür ermangelte, mutet in den Worten eines kompetenten, japanischen Germanisten zunächst befremdlich an. Klare, deutsche Wendungen könnten so eindeutig im Japanischen nicht wiedergegeben werden. Jede Formulierung im Japanischen gerierte ihre eigene, situationsadäquate spezifische Nuance: „Japanisch ist eine sehr sensible Sprache und ein einfach ins Japanische übersetzter deutscher Satz (…) ist kein wirkliches Japanisch.“(S. 37)
Dessen ungeachtet vermochte sich seine Tochter ein tadelloses Japanisch anzueignen und bei schwierigsten Prüfungen in Japan selbst zu reüssieren. Außerdem führt der Autor mehrfach an, dass es für deutsche Begriffe exakt übereinstimmende japanische Entsprechungen durchaus zu finden gibt. (Manchmal unter der Voraussetzung, gut eingebürgerte Wörterbuchübertragungen richtig zu stellen.) Angeführt sei das deutsche Wort „Dreh“, dem exakt das japanische „kotsu“ (meist als Kniff oder Trick übersetzt) entspräche (vgl. S. 107).
Herr Ezawa entdeckt die deutsche Streitlaune und wird selbst streitbar und entwickelt das entsprechende Beharrungsvermögen. Als Zögling der Großstadt (Tokio) findet er Deutschland als Flickenteppich des Provinzialismus vor, mit ausgeprägtem, regionalem Selbstbewusstsein gegen eine (bis zur Wiedervereinigung) physisch kaum wahrgenommene Hauptstadt. Er vergleicht das Entstehen beider Nationalstaaten und kommt zu dem Schluss, dass Japan wie Deutschland als Spätzünder dieser Entwicklung und nach den zurückgeworfenen Tollheiten eines nationalistischen Expansionismus, letztlich ganz Respektables geschaffen haben.
Die Antwort auf die Frage, warum er denn überhaupt Deutsch gelernt hatte, beantwortet er einem seiner Bekannten dahingehend, um die deutsche, philosophische Literatur [welche bekanntlich aus englischer Sicht voller Vertraktheiten, oder deutlicher: sophisticated odds, steckt] im Original lesen zu können. Erinnert schwer an die französische Philosophin und Feministin Luce Irigaray, die in den 1960er Jahren begonnen hatte Deutsch zu lernen, um Heidegger (!) im Original zu lesen. Solche Ambitioniertheit nötigt einem Hochachtung ab, zumal man selber in Sachen Fremdsprachenbeherrschung eher der Stümper ist.
Der zweite Abschnitt des Bandes versammelt verstreute Arbeiten über die Außenansicht Japans in der Welt, Entwicklungen in Deutschland und die Transformation der Gesellschaft.
Japanischen Landsleuten, die sich mit dem Gedanken tragen selbst eine Zeitlang in Deutschland zu verbringen, gibt er auf den Weg „clever“ zu sein. Seine Verdeutlichung des Begriffs steht für eine Form der Gewitztheit, derer man sich in Deutschland (und wohl nicht nur dort) zu befleißigen hat, um nicht übervorteilt zu werden oder unter die Räder zu kommen.
In Japan erfreut sich Literatur über Japan, die einen Akzent auf die Besonderheit des Landes und der Menschen legt, großer Beliebtheit. In Österreich und Deutschland fällt die Nabelschau, wo sie nicht degoutant ist oder über Allgemeinplätze nicht hinaus weiß, zuweilen sehr kritisch aus. [Michael Holzachs „Deutschland umsonst“ bleibt nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung, an die vielleicht gerade noch Klaffenböcks „Grenzgehen“ heranreicht.] Der Blick eines Ausländers, der Erfahrungen aus seiner ersten Heimat mit seiner zweiten zusammenführt, kann nicht nur erfrischend sein, er ist, wie Herr Ezawa es vorführt, in allerlei Gegenüberstellung auch durchaus erhellend.



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