Gespielter Witz, japanisch
Buchtitel: Manzai. Eine japanische Form der Stand-up-Comedy
Autor: Till Weingärtner
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2006
ISBN 3-89129-826-9
Dass Humor sich nur in einem kulturellen und zeitbedingten Kontext adäquat erschließt, ist ja hinlänglich geläufig. Das Spaßverständnis subkultureller Gemeinschaften kann einem dabei ebenso unverständlich bleiben, wie die Launigkeit der eigenen Landsleute aus fern gelegenen Landesteilen oder die Gaudi von Anno Tobak. Was Wunder also, dass einem der Humor fremder Kulturen missverständlich ankommen kann. In internationalen Begegnungen kann so etwas durchaus fatal enden. Berühmt-berüchtigt sind die Scherzchen des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, vornehmlich bei seinen Staatsbesuchen in Südamerika, die seinen Gastgebern nicht selten ein Höchstmaß an diplomatischem Taktgefühl abverlangten.
Sich mit der Gefühlslage in humoristischer Hinsicht anderer Kulturkreise auseinanderzusetzen ist gerade im Hinblick auf die wachsende Bedeutung länderübergreifender Kooperationen alles andere als ein Orchideenfach. Einfühlungsvermögen zu entwickeln steht nämlich nicht nur der höheren Diplomatie, sondern, sagen wir es rundheraus, auch den ganz normalen Neckermännern gut an.
Till Weingärtner ist Japanologe und bietet hiermit eine leicht überarbeitete Version seiner Diplomarbeit zum Thema Manzai. Dabei handelt es sich um eine besondere Form humorvoller Unterhaltung, die zumeist von zwei Personen coram publico auf der Bühne oder im Fernsehen dargeboten wird. Vor allem der Usus, dass einer der Charaktere den Begriffsstutzigen, der andere den Beflissenen mimt und sich während des Dialogs die Komik im Wortwitz, also in der Doppelbedeutung oder im Anspielungsreichtum eines Begriffs oder, wie im Japanischen häufig, im gleichen Wortklang völlig einander widersprechender Begriffe erschließt, hat mich an die so genannte Doppel-Conférence aus der Blütezeit des österreichischen Kabaretts erinnert. [Vor allem Fritz Grünbaum führte eine einzigartige Sprachbeherrschung und Schlagfertigkeit in diese Richtung, die nach 1945 vor allem mit den Namen Karl Farkas und Ernst Waldbrunn verbunden bleibt.]
Weingärtner verweist auf die Wurzeln des Manzai im Mittelalter (die Übernahme eines ursprünglich aus China stammenden zeremoniellen Brauchtums, in Japan tōka genannt). Eine frühe Bühnenform lässt sich erstmals im 19. Jahrhundert ausmachen und schließlich erreicht die Entwicklung im 20. ihren vorläufigen Höhepunkt.
Manche Vertreter des Genres genießen vor allem beim weiblichen Publikum den Status von Popstars, wie der Autor augenscheinlich selbst beobachten konnte (vgl. S. 26).
Manzai ist aufs engste mit der Stadt Ōsaka verbunden, was, einer Theorie Inoue Hiroshis zufolge, mit ihren durch den Handel geprägten Gepflogenheiten zu tun hat, die sich deutlich von der geradezu verbissenen Humorlosigkeit der Kriegerkaste abheben. [Hat nicht die legendäre Ahnfrau des Onna Kabuki, Izumo no Okuni, das gespreizte Schreiten der Samurai durch bloßes Nachäffen der Lächerlichkeit ihres Publikums preiszugeben vermocht, wie zeitgenössische Holzschnitte überliefern?]
Im Mittelpunkt der Arbeit stehen (die zweisprachige) Wiedergabe und Analyse einer Manzai-Nummer des legendären Duos Yumeji Itoshi, Kimi Koishi (eigentlich das Brüderpaar Shinohara Hironobu und Shinohara Isao) aus dem Jahre 1993, das in der Übersetzung den Titel „Der Golfkrieg bei uns daheim“ trägt.
Witze – oder wie eben hier: eine Abfolge von Pointen – die von Missverständnis und Anzüglichkeiten leben, en détail aufzudröseln, bremst den Elan der Sache nicht unerheblich. Allerdings erhellt sich dem Leser, der mit dem Japanischen keineswegs so vertraut ist, wie er es sich vielleicht gerne wünschte, nur dadurch das Verständnis für die spezifische Choreographie des Humors. Weingärtner stellt seine systematische Auflösung in Zusammenhang mit ausgewählten Theorien. Als Dilettant zieht man die Conclusio, dass die Definition des Menschen als lachendes Tier eine universale Gültigkeit hält.
In einem resümierenden Kapitel wird ein Ausblick auf die Entwicklung des unmittelbar zeitgenössischen Manzai versucht. Nach Einschätzung des Autors agieren vor allem jüngere Interpreten in der Manier gespielter Sketche und gerieren sich in einer für die Bühnenatmosphäre entsprechend adaptierten Situationskomik, was Puristen als Abkehr vom Gewohnten beargwöhnen. Das große Standmikrofon, zwar längst anachronistisch geworden, erscheint indes als geradezu emblematisch für Japans beliebtestes Comedy-Genre.
Des Autors Arbeit kann als Vademekum für am Thema Interessierte ohne Einschränkung weiterempfohlen werden.
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