Kopfkissenbuch
Buchtitel: Das Kopfkissenbuch einer Hofdame [Makura no Sôshi]
Autorin: Sei Shonagon [aus dem Japanischen von Mamoru Watanabé]
Verlag, Erscheinungsjahr: Manesse, 2004
ISBN 3-7175-1364-8
Die Frage nach dem weiblichen Genie, die in der europäischen, männlich besetzten Diskussion des 19. Jahrhunderts allenfalls verlacht wurde, erübrigt sich in Anbetracht eines solchen Buches, um das Jahr 1000 von einer Frau verfasst. Seine Autorin begründete mit ihm einen literarischen Stil, den man in Japan mit zuihitsu bezeichnet. In Wörterbüchern wird das gemeinhin mit ‚Essay’ wiedergegeben, wiewohl es die Sache nicht exakt trifft. Man möge an Leute wie Montaigne, Pascal oder Vauvenargues denken, oder an die ironischen Verspieltheiten eines Georg Christoph Lichtenberg. Den Anteil der Frauen an der Entwicklung der japanischen Literatur kann man meines Erachtens gar nicht hoch genug bewerten. Verfasst zumeist in der Silbenschrift Hiragana, wurde die darum auch Frauenschrift genannt. Im Kopfkissenbuch schildert eine Hofdame der Kaiserin Sadako, der so genannten späten Heian-Zeit, Alltagsbegebenheiten, Beobachtungen und Eindrücke. Wir erfahren auf diese Weise über Anstandsregeln, dem Miteinander der Geschlechter, über Künste, einfache Leute, religiöse Zeremonien und die kleinen Ach und Wehs der Zeitläufte. Die Positionen der Sei Shonagon, die man ob ihrer Gelehrtheit in unserem Kulturkreis früher wohl als Blaustrumpf bezeichnet hätte, Tochter eines zu seiner Zeit weitum bekannten Dichters, fallen niemals überheblich aus. Sie gibt sich auch nicht hochnäsig pikiert, wo sie sich etwa über die Tischsitten von Handwerkern auslässt und wenn gängige Normen missachtet zu werden drohen, ergeht sie sich nicht in oberlehrerinnenhafter Manier, sondern allenfalls in leiser Melancholie. Der Ton ist von einer Leichtigkeit und Heiterkeit getragen, der immer wieder mit der schwungvollen Pinselführung eines Kalligraphen oder Malers verglichen worden ist. Wenn man bedenkt, was zur gleichen Zeit in Europa an Krampf zu Papier gebracht wurde [Zinnober a la Merseburger Zaubersprüche], nachdem das Erbe der Antike noch nicht wieder in kollektiven Besitz genommen ward, macht einen die japanische Literatur schon staunen. [Natürlich, bis das Kopfkissenbuch sich auch in Japan einem größeren Leserkreis erschließt, vergehen von seiner Niederschrift an Jahrhunderte.] Unter der Zusammenfassung “Unangenehme Dinge” findet sich unter anderem folgender Eintrag: “Man hat die Dummheit begangen und einen Mann heimlich bei sich nächtigen lassen, und da fängt er an zu schnarchen. Wie unangenehm ist das!” – Manchen menschlichen Kümmernissen kommt offensichtlich der Rang einer anthropologischen Konstante zu!
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