Im nördlichen Japan

Buchtitel: Abroad in Japan. Ten years in the Land of the Rising Sun
Autor: Chris Broad
Verlag, Erscheinungsjahr: Bantam 2023
ISBN 978-1-787-63708-5

2012 beschließt ein zweiundzwanzigjähriger Brite mit rudimentären Japanisch-Kenntnissen, sich im Rahmen eines JET-Austauschprogramms als Englisch-Lehrer zu bewerben. Während er in hypernervöser Auflösung das entscheidende Gespräch in der japanischen Botschaft in Londons Stadtteil Mayfair schon versemmelt glaubt, flattert ihm die Einladung ins Haus. Er macht den längsten Flug und den fürchterlichsten Jet-Lag seines Lebens durch, trifft in Tokio, der weitläufigsten Betonlandschaft der Welt, im Hitzeschock ein und wähnt, unter blasierten Fachkollegen, die es nach Osaka, Nagasaki oder Kioto verschlägt, mit seiner Destination die Arschkarte gezogen zu haben: Yamagata, jenseits der Ou-Berge, ins Städtchen Sakata, das seine besseren Tage bereits hinter sich gebracht weiß (pessimistische, despektierliche Sichtweise) oder noch vor sich zu haben wähnt (optimistische, respektvoll-höfliche Sichtweise).
Noch in Tokio lernt Chris Broad die Unvergleichbarkeit von Sushi mit Sushi kennen, weil die einzigartige Qualität von letzterem, in Japan schnabuliert, alles übertrifft, was man unter diesem Namen in London vorgesetzt bekommt. Am Vorstellungstag in seiner Schule, einem gigantisch überdimensionierten Gebäudekomplex, fürchtet er in Unkenntnis der Usance des chinmoku, beim Kennenlern-tête-à-tête mit dem Direktor sich einen unverzeihlichen Lapsus erlaubt zu haben: ein Miteinstimmen in gemeinsames Schweigen.
Schließlich darf er Wohnung beziehen, ein Appartement von einer Miniatürlichkeit, die im Vereinigten Königreich als illegal gehandelt würde. Im onsen bangt er, das Schicksal gekochter Frösche zu teilen und lernt als Sozius im keijidousha was Platzangst einem abverlangt.
Nach brauchtumsartigem Besäufnis im izakaya empfiehlt es sich auch in Japan nicht, ins Auto zu steigen, wenn man die Absicht hat es auch zu starten. Als Alternative zum Taxi hat sich ein Service etabliert, der unter der Bezeichnung daikou läuft: man lässt sich gegen einen vereinbarten Obolus von Fremden in der eigenen Karre heimkutschieren.
In der Region Tōhoku auf Honshū zugange, lernt Broad einen Winter in markant anderen als britischen Dimensionen kennen. Immerhin hält Aomori mit Sapporo (Hokkaidō) den Schneefallweltrekord (8 Meter). Aus einem Zeitvertreib wird ein Fimmel, als er beginnt selbstgedrehte Videos auf YouTube hochzuladen.
Dass Alkohol die Zunge lockert, braucht einem Briten nicht erklärt zu werden. Die bizarren Formen japanischer Anlass-Geselligkeit, da die zwingenden Formen der Zurückhaltung plötzlich aufgehoben scheinen und frei von der kontaminierten Leber weg vom Leder gezogen wird, sind für West-Menschen, insbesondere für jene, die sich angewöhnt haben nachtragend zu sein, wahre Herausforderungen. Vor allem, wenn der nächste Tag es gebietet, so zu tun als wäre nichts, aber auch rein gar nichts gewesen.
Chris Broad stürzt sich ins Erlernen der japanischen Sprache, nachdem er an einer Mautstelle die Frage nach genkin mit jener nach genki verwechselt und schuldig bleibt, wofür er sich vorab bedankt hat. Das vorzügliche Essen macht sich indes in einer physiognomischen Verwandlung bemerkbar, die ihn veranlasst, zumindest vorsatzmäßig, auf sportliche Betätigung zu setzen. Er erfährt, dass Japan im Ländervergleich der Übergewichtigen unter „ferner liefen“ rangiert, was auch einer staatlichen Direktive geschuldet scheint, die 2008 als „Metabo law“ installiert wurde und die Taillenweite von Angestellten restringiert.
Gemeinsam mit einem Kommilitonen aus der Heimat macht er sich auf, von der fünften Bergstation startend, den Fuji-san zu erklimmen, der Kommilitone sinnigerweise in Shorts. Jidōhanbaiki säumen ihren Weg, die jeden gewonnenen Höhenmeter mit Preisaufschlägen synchronisieren. Die einzige, zur Verfügung stehende Gipfeltoilette dient Backpackers als Rekreationsressort vor dem Sonnenaufgang: so wird das Must-see zum unvergesslichen Erlebnis, von dem zu raunen man noch den Urenkeln in den Ohren liegen kann.
Nach drei Jahren in Sakata, in denen es ihm gelingt sich dem gewöhnungsbedürftigen japanischen Schulbetrieb anzubequemen, Freunde zu gewinnen und in der Sprache des Gastlandes sattelfest zu werden, beschließt Broad nach Sendai zu wechseln. Die Quartiersuche eines gaijin wird zur beinahe nicht zu stemmenden Herausforderung, ehe ein Video, das den Verzehr von French fries mit Schokoladensauce im Selbstversuch dokumentiert, viral geht. Eine weitere komische Seite Japans lernt Broad kennen, als er für die Doku eines Aussies, unter dem Titel „Cat Nation“ wechselnde Szenerien begleitet, wie die todesverachtende Konsumation von, ja, Katzenwein und die Respektsbezeugung an der Grablege der bekanntesten Katze als Stationsvorsteherin, in Kinokawa, Präfektur Wakayama, Begründerin der in Japan weltberühmten Nekonomics.
Das Resümee des ungemein kurzweiligen Buches: Begehe bloß nicht den Fehler und lasse deine Bedenken deine Entschlossenheit vereiteln, zu tun, was dir eine glückliche Fügung einräumt zu tun!



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