Zen
Buchtitel: Zen. Geschichte und Praxis
Autor: Michael von Brück
Verlag, Erscheinungsjahr: Beck, 2004
ISBN 3-406-50844-8
Als seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, in den 1980er Jahren in einem legendären Interview für den Pay-TV-Sender Premiere von Roger Willemsen etwas respektlos gefragt wurde, ob er schon einmal die Erleuchtung erlebt habe, antwortete dieser ohne zu zögern und mit lachendem Gesicht: No! Darauf folgte dann die Erläuterung, warum das so sei. Immerhin hatte kein Geringerer als Siddharta Gautama dafür zehn Jahre unter einem Bodhi-Baum ausgeharrt.
Zu den Wegbereitern für ein Verständnis des Zen im westlichen Kulturkreis zählen sicherlich die zahlreichen Übersetzungen der Werke von Suzuki Daisetsu. Im deutschsprachigen Raum wäre noch die Pionierarbeit des Jesuitenpaters Enomiya-Lassalle zu nennen. Der fügte seinem Hauptwerk immerhin den Untertitel “Weg zur Erleuchtung” bei. Darin fand ich zum ersten Mal einen japanischen Mönch mit einem so genannten Kyosaku (“Warnungsstab”) abgebildet. Das Ding sieht aus wie ein Paddel und dient dazu, es während der Meditationsübungen Adepten, die eine verkrampfte Haltung anzeigen, ganz toll ins Kreuz zu dreschen. Man stelle sich einen mucksmäuschenstillen Raum vor, darin Meditierende in einer der traditionellen Sitzpositionen (suwari, hanka, kekka) auf Tatami-Matten hocken. Einer signalisiert durch herabhängende Schultern oder ein ähnlich sprechendes Zeichen, dass ihn nach dem Pracker verlangt und der dafür ausersehene Mönch robbt sich geräuschlos an ihn heran, bringt den Kyosaku in Position und haut zu, dass man meinen möchte jetzt habe einer seinen Rücken zu Brei zerstampft bekommen. Aber nichts dergleichen! Weit gefehlt. Der Geschlagene findet gleich wieder zu einer kommoden Haltung und behauptet hinterher, von dem martialisch dröhnenden Schlag gar nichts gespürt zu haben.
Dabei hat Zen mit der Abtötung von Empfindsamkeit rein gar nichts zu tun.
Wie beinahe alles Urjapanische (Schwertkampf, waffenlose Selbstverteidigung, vornehme Zurückhaltung, …) stammt auch Zen eigentlich von wo anders her. Bei den Chinesen heißt es ch’an, im Sanskrit dhyāna und wie die Vietnamesen und Koreaner dazu sagen, hab ich mir irgendwo aufgeschrieben, aber ich weiß nicht mehr wo. Alle legen sie aber dem Begriff die gleiche Bedeutung bei, nämlich: Versenkung.
Das vorliegende Buch liefert auf knappem Raum (128 Seiten) eine vorzügliche Einführung. Der Autor ist Religionswissenschaftler in München und selbst Zen-Lehrer.
Man sollte gewärtig sein, dass Versenkung nicht mit Entrückung in eins fällt. Zen hat nichts mit verzückter Mystik und ähnlich ranzigem Zinnober zu tun und wird schwärmerische Esoteriker schwerlich ansprechen können, weil es die Wirklichkeit nicht verleugnet, sondern ganz im Gegenteil zu fassen hilft.
Zen hat zur Schriftgelehrsamkeit ein deutlich distanziertes Verhältnis ausgebildet, wiewohl das Andenken an die großen Meister (wie Dōgen und Musō Soseki) in Sammlungen tradiert wird. Angestrebt wird vielmehr spontane Einsicht, die man durch Meditationstechniken (Zazen) gewinnt. Dazu können auch die in der Zen-Literatur so genannten Kōans verhelfen, eine Art Kopfnüsse, denen mit Abstraktionsfähigkeit und logischem Denkvermögen gleichermaßen nicht beizukommen ist. Mitunter “leitet” der Meister seine Novizen auch durch Anbrüllen und das Austeilen von Ohrfeigen. [Demnach dürfte mein alter Karatelehrer Kawasoe auch eine Art verkappter Zen-Meister gewesen sein.]
Einen weitum bekannten Aspekt des Zen stellt die Teezeremonie dar. Eine bezwingend knappe, wie ebenso einnehmende Definition ist dazu von Meister Rikyū überliefert: “Das Wesen der Teezeremonie ist Wasser kochen, Tee bereiten und ihn trinken. Sonst nichts.” (S. 83)
Zen hat in Japan vor allem die Ästhetik beeinflusst, also die schönen Künste. Als Religion spielt es in der heutigen japanischen Gesellschaft, wie der Autor betont, lediglich eine marginale Rolle (vgl. S. 93).
[Wer sich für eine zeitgemäße Darlegung des Buddhismus interessiert, dem seien hier noch die Harvard-Vorlesungen des Dalai Lama empfohlen.]
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