Zwanzig Biographien
Buchtitel: The Japanese. A History in Twenty Lives
Autor: Christopher Harding
Verlag, Erscheinungsjahr: Penguin Books 2022
ISBN 978-0-141-99228-0
Es gibt Geschichten und es gibt Geschichte. Einer Allgemeinheit wird Geschichte am eingängigsten gewiss über Geschichten zugänglich. [Wem würden über dem verordneten Pauken von Chronologien denn nicht Enthusiasmus und Gesichtsmuskulatur erschlaffen?] Dass man Geschichte gerade auch mittels Geschichten klittert – geschenkt. Allein, das spricht nicht gegen Geschichten und wenn sie sich an Biographien aufhängen. Christopher Harding hat bereits Bemerkenswertes über Japan verfasst und ihn als Kenner auszuweisen, wäre noch eine Untertreibung. Außerdem versteht er sich auf sein Metier, dem gehaltvollen Schreiben.
Die in diesem Buch vorgestellten Persönlichkeiten dürfen durchaus als repräsentativ für ihre Epoche, in der sie wirkten, genommen werden. Natürlich stehen zwanzig nicht für alle Japanerinnen und Japaner, es machte aber auch wenig Sinn, sämtliche Telefonbücher seit der Yamato-Zeit zu kompilieren, um diesem hochtrabenden Anspruch zu genügen. [Dem bräsigen Hinweis, erste Telefonapparate wären in Japan schlechterdings wohl kaum vor der Ära Meiji verfügbar gewesen, versuche ich gleich gar nicht Konter zu geben.]
Angeführt wird das Personarium von einer Königin aus mythischer Zeit: Himiko. Unter anderem in Kanzaki findet sich eine Statue von ihr aufgestellt, deren Gesichtszüge mich frappant an meine koreanische Nachbarin erinnern, was dem Zufall geschuldet sein wird. [Gleichwohl man Himiko nachsagt, auch als Schamanin gewirkt zu haben und die Koreanerin zu erzählen weiß, in ihrer Verwandtschaft fände sich eine mudang. Aber wie kann ich überprüfen, dass es hier womöglich einen Zusammenhang gibt?] Die Grablege von Himiko wurde bislang noch nicht gefunden, was ebenso auf Prinz Shōtoku zutrifft, dem ein folgendes Kapitel gewidmet ist. Unter der Herrschaft des 50. Tennos, Kanmu [auch als Kammu transkribiert], fällt das Wirken der beiden einflussreichsten japanischen Buddhisten, Saichō und Kūkai. Danach wird einiges aus der Lebenszeit der Hofdame Murasaki Shikibu ausgebreitet, aus welcher und durch welcher die Erzählung des Prinzen Genji (Genji monogatari) auf uns gekommen ist. In Hōjō Masako schließlich begegnen wir der Frau des ersten Kamakura-Shoguns und finden uns in der Zeit der Genpei-Kriege, die im Heike monogatari literarischen Niederschlag fanden. [Dass die Moritaten-Sammlung jüngst von Björn Adelmeier kongenial ins Deutsche übertragen wurde, davon bald an anderer Stelle mehr.] Folgende Kapitel beschäftigen sich mit dem Mönch Shinran, dem Künstler Zeami, Oda Nobunaga, dem notorischen Warlord, schließlich dem Weltreisenden Hasekura Tsunenaga, man erfährt über das Wirken des Literaten Ihara Saikaku, der dem Genre des ukiyo-zōshi zu Verbreitung verhalf, trifft auf den Revolutionär Sakamoto Ryōma, einen Angehörigen der sich selbst als shishi Verbrämenden, den Blaustrumpf Kusumoto Ine, Siebolds Tochter, der eigentlich das Verdienst zuzusprechen wäre die erste japanische Ärztin (nach westlichem Standard) gewesen zu sein, dem durchsetzungsstarken Pionier-Unternehmer und Investor Shibusawa Eiichi, der unter anderem in Sapporo aufs Bierbrauen setzte. Tsuda Umeko war die jüngste Teilnehmerin der berühmten Iwakura-Mission, Ikeda Kikunae der Entdecker der fünften Geschmacksrichtung, die er mit Kompagnon Suzuki Saburosuke geschäftstüchtig abzufüllen verstand. (Glutamat wurde zunächst unter dem Marken-Namen Ajinomoto unter die Leute gebracht.) In der Person von Yosano Akiko konfrontiert uns Harding mit einer durchaus widersprüchlichen Literatin, die sowohl als Verfasserin eines anrührenden Anti-Kriegs-Gedichtes in Erscheinung trat (zur Zeit des Russisch-japanischen Krieges), sich aber ebenso zu nationalistischem Furor verstieg, in Folge des sogenannten Mukden-Zwischenfalls. In Misora Hibari lernen wir die Göttin des enka kennen, in Tezuka Osamu den mangaka schlechthin. Die Karriere von Tanaka Kakuei hingegen als einzigartig zu qualifizieren, hätte etwas Beschwichtigendes. Ein wahres Stehaufmännchen, das von früh an Widrigkeiten übersteht (der Vater ein Bankrotteur und Säufer; von der Großmutter versehentlich beinahe mit dem Spaten erschlagen…), schafft er es im Animositäten-Wettbewerb innerhalb der LDP-Faktionen bis zum Premierminister, setzt Visionäres für Japan in die Tat um, lernt das Gefängnis von Innen kennen und weiß selbst als offiziell Retirierter noch Seilschaften von eigenen Gnaden aufzustellen. Er hätte wahrlich den Blechmann abgegeben, hätte das Eiserne Dreieck (seikangyō toraianguru) je die japanische Version des Zauberlandes Oz verkörpert. Das letzte Kapitel des Buches schließlich befasst sich mit Prinzessin Masako, geboren als Owada Masako. Eine hochintelligente Frau, Absolventin mehrerer Universitäten des In- und Auslandes, vielsprachig und als eloquent im gesellschaftlichen Umgang auf internationalem Parkett gewürdigt – lebendig begraben in einem Pferch, dessen Umzäunung gewirkt ist aus Shintō-Zinnober, archaischem Hofzeremoniell und bevormundender, ja geradezu entwürdigender Etikette. Was für ein Schicksal…