Tagebuch eines Handelsdelegierten

Buchtitel: Österreichs erster Handelsdelegierter in Japan. Das Japan-Tagebuch von Karl Ritter von Scherzer 1869
Herausgeber: Peter Pantzer
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2019
ISBN 978-3-86205-120-5

Dass unter Handel, zumal internationalem Handel und Warenverkehr, ein Austausch zum Vorteil sämtlicher daran Beteiligten zu verstehen ist, meinte man als Allgemeingut geläufig. Gegenwärtige Tendenzen führender Nationen, die Renaissance ihrer Großartigkeit auf merkantilistische Strategien zu gründen, belehren einen indes eines Besseren. Da tut es gut ein Buch zur Hand zu nehmen, das einen dem erwartungsgespannten Geist einer verflossenen Ära nachspüren lässt, der noch Optimismus zu säen gelang. Vor hundertfünfzig Jahren schickte sich Österreich-Ungarn an – die Doppelmonarchie hatte kürzlich den Ausgleich mit der ungarischen Reichshälfte auf den Weg gebracht – es den Vereinigten Staaten und europäischen Nationen gleichzutun und mit Japan eine Handelsvereinbarung zu treffen. Dass diese Verträge die japanische Seite alsbald als ungleiche auffasste, will durch den Hinweis, dass diese nach und nach von Kontrakten, die den Geist der Gleichberechtigung atmeten, beerbt wurden, nicht verbrämt werden. Gleichsam bildeten sie die Grundlage dafür, an der Umgestaltung einer Nation, die vom Feudalismus ins Industriezeitalter trat, zu partizipieren.
Der Herausgeber legt mit dem Tagebuch des Handelsdelegierten Ritter von Scherzer ein stimmungsvolles Dokument vor, dessen Original am Geographischen Institut Leipzig verwahrt wird. Scherzer dampfte mit der Fregatte „Donau“ in Begleitung honoriger Beamter, sowie eines Fotografen und dessen Adlatus (ein steirischer Bursche, Michael Moser, der, gleichwohl des Japanischen nicht mächtig, für einige Jahre im Lande blieb und sogar in die Dienste der japanischen Regierung trat), ausgestattet mit Exponaten für eine Handelswarenausstellung, sowie den Geschenken für das japanische Kaiserhaus (darunter eine Marmorstatue seiner Apostolischen Majestät und ein Instrument der führenden Wiener Klaviermanufaktur, das durch die Widerfahrnisse der Seereise erstaunlicherweise keinerlei Schaden nahm) von Triest aus, via Suez-Kanal nach Fernost. Scherzer beschwört Triest als den künftigen Welthandelshafen, wenn sich die Dinge nur so gedeihlich entwickeln wollten wie gewünscht. Als Nachgeborener, der man um die düsteren Entwicklungen der Jahrhundertwende weiß, wird man von dieser Zuversicht beschämt. Ebenso von der Bemerkung, dass die Schiffsmannschaft, zusammengesetzt von Personen aus allen Regionen der Monarchie, das denkbar gedeihlichste Miteinander vorlebt; eine Eintracht, die dem Vaterland zu gönnen wäre.
In Yokohama findet sich die „Donau“ freilich nicht als einsamer Vertreter des Westens ein. Die Konkurrenz der Handelsnationen spielt sich dennoch nicht als sich gegenseitig desavouierende Gesellschaft von Neidern ab. (Was die Vorurteile gewisser Kreise in Japan gegen die Europäer zweifellos befeuert hätte.) Wahrscheinlich wurden von den Batterien zu Lande und zu Wasser nie so viele Salutschüsse abgefeuert, die wechselseitige Ehrerbietung bekundeten, wie in diesen Tagen. Bevollmächtigte, Nationenvertreter, Kapitäne und hohe Beamte laden einander zu Diners, sodass gerade letztere, die mit wichtigen Vorbereitungen der Vertragsparaphierung befasst sind, gehörig in Stress geraten. Für Österreich-Ungarn erweist sich die Kooperation mit dem Vereinigten Königreich als fruchtbringend, da der Rang des Handelsvertreters, den japanischen Erwartungen gerecht werdend, keine diplomatische Petitesse darstellt. Alexander von Siebold (einer der beiden Söhne des berühmten Ostasienforschers und Japanologen) hilft nicht nur als Übersetzer.
Scherzer bemerkt im Kontakt mit den Einheimischen die Reinlichkeit (das Ausziehen der Schuhe vor dem Betreten der Häuser), das raffinierte System der Raumteilung und die schlichte Ausstattung im Gegensatz zur unterstellten Opulenz in chinesischen Häusern. Berühmte Schreine und Tempel werden besucht und besonderen Eindruck hinterlässt die mächtigste Burg Japans in Osaka (die im Zweiten Weltkrieg nahezu ihre vollständige Zerstörung erfährt). Über die Japanerinnen befindet Scherzer: Sie nehmen den „regsten Antheil [an der Außenwelt, im Gegensatz zu den Chinesinnen, Anm. d. Verf.], sind sehr gefällig, witzig und wißbegierig, können lesen u. schreiben u. sollen in der Unterhaltung sehr amüsant sein.“(S. 100)
Dem Buch beigegeben findet sich das Japan-Diarium von Otto Pfisterer, Beamter des Handelsministeriums, sowie die amtlichen Berichte des Konteradmirals Anton Freiherr von Petz, in Personalunion Kommandant der Expedition und österreichisch-ungarischer Gesandter. Zeitgenössische Fotografien, ebenso wie Faksimiles der Tagebücher, begleiten die Textpassagen, denen die kenntnisreiche Einführung des Herausgebers vorangestellt ist. Mögen dem Werk die Aufmerksamkeit gegönnt sein, die es unbestritten über das Jubiläumsjahr hinaus verdient!



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