Studien zum japanisch geprägten Kapitalismus

Buchtitel: Der japanische Kapitalismus zwischen Macht und Markt
Herausgeber: Volker Elis und Takahiro Nishiyama
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium 2017
ISBN 978-3-86205-515-9

Dieses Buch versammelt Beiträge eines Kongresses, der 2012 an der Universität Zürich tagte. Der Zeitverlust zwischen Vortrag und Veröffentlichung sollte Interessierte, die mit den Bedingungen wissenschaftlichen Publikationswesens einigermaßen vertraut sind, nicht sonderlich bekümmern. Auch kann man sich an die Einschätzung der Herausgeber halten, wonach die Befassung mit dem Machtbegriff innerhalb der Ökonomie jüngst erst initiiert wurde und damit ein Forschungsfeld absteckt, auf dem noch viel zu tun ansteht.
Dass die japanische Arbeitswelt noch weitere Segnungen kennt als jenes Spektrum, das zwischen karoshi und amakudari changiert, ruft einem die Untersuchung von Volker Elis („Macht in der japanischen Ökonomie: Die soziale Organisation von Arbeit im Toyotismus und Neo-Management“) in Erinnerung. Der im Titel genannte Toyotismus hat den tayloristisch forcierten Fordismus weltweit beerbt, mit gravierenden Auswirkungen auf das sogenannte Fabriksregime: Der Hang zur Selbstoptimierung, einsetzend als sublimer Zwang, spiegelt die vorauseilende Internalisierung der Direktiven, die aus verbrämter Hierarchisierung im Produktionsprozess wie gehabt top down ergehen. Die Beobachtung, dass in Japan wachsender Einfluss der Interessen der Anteilseigner mit zunehmender Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse korreliert, lässt für die Zukunft auch in allen anderen Ländern, in denen die „schlanke Produktion“ als state of the art gehandelt wird, gewissen nationalen Sonderregelungen zum Trotz, wenig Vielversprechendes erwarten.
Nishiyama Takahiro („Vom koordinierten zum ‚dualisierten‘ Kapitalismus? Qualifizierungschancen in der japanischen Tourismusbranche“) nimmt einen der Grundpfeiler der japanischen Volkswirtschaft genauer unter die Lupe. Vor dem Hintergrund des genannten Befundes, die Erosion regulärer Arbeitsverhältnisse betreffend, wird der Aufrechterhaltung der Wertschöpfung im Tourismus in einer Ära sich wandelnder Kundenerwartung nachgespürt. Urlaub à la chinoise – Gruppen, die in Reisebussen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit geschleust werden und sich Ramsch als Mitbringsel andrehen lassen – erfreut sich weltweit schwindender Nachfrage. Der Individualtourist wird anspruchsvoller und mündig, seine Ansprüche zu artikulieren, bzw. bei Nichterfüllung auf einschlägigen Portalen Kritik zu lancieren. Nishiyama zeigt auf, dass in Japan Beherbergungsbetriebe mit dem Einsatz von versierten Kräften besser fahren als mit Personal, das sich aus dem externalisierten Arbeitsmarkt rekrutiert und dem Ausbildung und TOJ vorenthalten bleiben.
Wada Yoshinori räumt in seinem Aufsatz („Der Mythos der Mitarbeitersouveränität in Japan: Ein strategisches Personalkoordinierungssystem“) mit einem Vorurteil auf: Maßnahmen der Beschäftigungsanpassung, deren sich etwa börsennotierende Unternehmen bedienen, werden mitnichten nach dem Primat der „Menschenorientierung“ gesetzt, sondern der Optimierung der Betriebsrentabilität unterworfen. Das „Mitarbeiterkapital“ findet sich in Zeiten volatiler wirtschaftlicher Rahmenbedingungen als ebenso flexibles und variables gehandhabt, wie sämtliche andere Sorten. Die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des „japanischen Kapitalismus“ auf dem Parkett der Weltwirtschaft bleibt nicht zuletzt angesichts der demographischen Herausforderung eine offene Frage.
Georg Blind und Jacqueline Tschumi beschäftigen sich in ihrer Studie („Wandel in der Ausübung arbeitgeberseitiger Verfügungsmacht: Restrukturierungsmaßnahmen im Personalwesen japanischer Unternehmen seit 1990“) mit den mitarbeiterbezogenen Steuerungsmechanismen, deren sich Unternehmen im ausgewiesenen Zeitraum bedienten, um ihre Betriebsergebnisse nicht einbrechen zu lassen. Am Ende dieser Periode scheint es ausgemacht, dass die Privatwirtschaft Maßnahmen wesentlich rascher und durchaus machtintensiver in die Wege zu leiten versteht als in der Vergangenheit.
Stefania Lottanti von Mandach beleuchtet die Frage einer möglichen Zunahme der Einzelhandelskonzentration („Machtverschiebung im japanischen Distributionssystem? Eine Untersuchung zur Entwicklung der Nachfragemacht des japanischen Einzelhandels zwischen 1990 und 2005“) und schließlich befasst sich Ueda Taske („Bilanzpolitik und firmeninterne Interessenkonflikte: Eine empirische Analyse des earning management japanischer Firmen im 21. Jahrhundert“) mit der mitunter etwas eigenwilligen Praxis der Konzernrechnungslegung in Japan nach dem weltweiten Finanzdebakel und spannt ein weites Feld auf.
Aktuell scheint die Drei-Pfeile-Strategie der Abenomics eher von Ankündigungen getragen, denn von Ergebnissen, die sie zeitigt, beflügelt [vgl. etwa jüngst: Welter, Patrick: Japans Arbeitsmarktreform will nicht gelingen, in: NZZ (52), 3.3.2018] und eine Generation, die der Soziologe Harada Yohei vom Jugendforschungszentrum Hakuhodo als „satori sedai“ bezeichnet, geruht offensichtlich sich selbst aus dem Spiel zu nehmen. Die Entwicklungen in der japanischen Gesellschaft bleiben also allemal spannend.



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