Aktulles Potpourri über Japan
Buchtitel: Japan 2016. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
Herausgeber: David Chiavacci, Iris Wieczorek
Verlag, Erscheimungsjahr: Iudicium, 2016
ISBN 978-3-86205-487-9
Dieses bewährte Jahrbuch erscheint in vorliegender Ausgabe zum 39. Mal. Es versammelt neben Übersichtsbeiträgen, die zum Generalthema das Kalenderjahr vor dem Erscheinungsdatum resümieren, Aufsätze, die nach dem für wissenschaftliche Publikationen üblichen Verfahren von Fachleuten ausgewählt wurden. [Welche Effekte das zeitigen kann, hat jüngst Alfred Kieser, Professor Emeritus der Betriebswirtschaftslehre, in seinem Abgesang auf wissenschaftliche Zeitschriften in der letzten, je erscheinenden Ausgabe der DBW dargelegt.] Das Jahrbuch versteht sich aber keineswegs nur als Handreichung für Experten, sondern mag Menschen aller Couleur ansprechen, die mit Japan befasst sind, sei es aus beruflichen Gründen oder aus sonst welchem Interesse. Im Folgenden sei auf einige näher eingegangen.
Gesine Foljanty-Jost blickt zurück auf jenen sozialen Konflikt, der vor rund fünfzig Jahren um die Errichtung des Internationalen Flughafens Narita entbrannte und bis heute, wenn auch auf kleiner Flamme, weiterköchelt. Die zeitweilige Eskalation der Auseinandersetzung hat prononciert politische Protestbewegungen seither ein veritables Imageproblem beschert. Der einen, halben Wahrheit die zweite Hälfte hinzuzufügen, würde aber auch bedeuten, die „dialogische Aufarbeitung des Kampfes durch Staat und Bauern“ an den „Runden Tischen“ in den 1990er Jahre zu erinnern, wie die Autorin betont. Sie sieht den Widerstandskampf durch die beispielhafte Dialogbereitschaft zwischen Staat und Bürger rehabilitiert.
Christoph Brumann schildert in seinem Aufsatz die Hintergründe eines Disputes zwischen Japan und der Republik Korea, der 2015 für Schlagzeilen sorgte als Japan Denkmale des beginnenden Industriezeitalters in die Weltkulturerbe-Liste aufzunehmen beantragte und Vertreter Koreas gewisse historische Details dabei leichtfertig übergangen sahen. Geradezu beispielhaft zeigt sich die Herausforderung, wie mit Objekten zu verfahren ist, an die das kollektive Gedächtnis von mehr als einer Nation geknüpft und denen folglich mehr als eine Lesart ihrer Bedeutung zuzuschreiben ist. [Dass zwischen Japan und Südkorea in puncto Denkmäler noch viel Zündstoff liegt, belegt der aktuelle Streit um die Kannon-Statue aus Tsushima, die als Diebesgut nach Korea geriet und von Experten als koreanisches Artefakt gedeutet wird. Japan fordert indessen seine unverzügliche Rückgabe.]
Nora Gilgen untersucht die Integration von Menschen mit Behinderung am japanischen Arbeitsmarkt. Die Gesetzeslage erlaubt den Betrieben die Möglichkeit zur Gründung von besonderen Tochterfirmen, in denen dieses spezielle Arbeitnehmerkontingent ausgelagert wird. Der Vorteil der Beschäftigung dieser Menschen und die damit einhergehende Finanzierung eines weitgehend selbstbestimmten Lebens liegt auf der Hand, dennoch haftet der Praxis ein gewisser Gout an, führt sie doch „nicht zu einer erhöhten sozialen Inklusion im Sinne einer regelmäßigen Zusammenarbeit mit Nicht-Behinderten“.
Steve R. Entrich befasst sich mit Bildungsungleichheit in Japan, vor allem mit dem Aspekt wie Unsicherheit Bildungsinvestitionen beeinflusst. Seine Schlussfolgerung, ein Investieren in shadow education dient zunehmend dazu einen Status zu wahren, anstatt den sozialen Aufstieg zu ermöglichen, belegt, dass ein gesellschaftspolitisches Versprechen, das für Generationen breitest möglich verfing, zunehmen einer Minderheit vorbehalten bleibt.
Der mittlerweile in Japan lebende österreichische Japanologe Wolfgang Herbert beleuchtet in seiner Arbeit jüngste Entwicklungen der organisierten Kriminalität. Die „traditionsreiche“ Yamaguchi-gumi hat sich 2015 in zwei rivalisierende Großverbände gespalten. Fragt man sich im ersten Moment noch, wie sich einem renommierten Wissenschaftler die Organisationsstruktur der Yakuza erschließt, ohne sich als Undercover-Loyalist einschleusen zu lassen – was, wenn auch als sprachlich sattelfester gaijin, doch eine veritable Unmöglichkeit darstellen dürfte – erfährt man in einem Exkurs, dass die „ehrenwerte Gesellschaft“ nebst diversen Journalen sogar eine eigene, recht auskunftsfreudige Homepage unterhält. Legislative wie Exekutive haben den „schweren Jungs“ in den letzten Jahren schwer zugesetzt und die Rezession, die Japan beutelt, verhagelt auch der Yakuza die Bilanzen. Darüber hinaus hat man die rasanten technologischen Entwicklungen, die das Leben smarter machen, komplett verschlafen. Eine neue Generation, die Herbert unter dem Begriff hangure vorstellt, versiert in den Spielarten der Internet-Kriminalität, beerbt die Tradition im Eintreiben oder Erpressen von Zuwendungen. Auf dem Radar der Polizei scheint ihr unterdessen noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt zu werden. Was sich noch als folgenreicher Lapsus erweisen könnte.
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