Bushidō. Der Weg des Kriegers ist ambivalent
Autor: Gerhard Bierwirth
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2005
ISBN 3-89129-824-2
Von den notwendigen Büchern sind viele schwer zu lesen oder sonst wie wenig zugänglich und falls sich doch einmal Lesbarkeit und Verfügbarkeit glücklich in eins fügen, werden diese Bücher, die eine gewisse Notwendigkeit für sich beanspruchen können, nicht gelesen. Oft, weil auf ihren Seiten etwas ausgebreitet wird, das den lieb gewordenen Ansichten diametral entgegenläuft. Hätten Bücher schon von je dazu beigetragen Vorurteile abzubauen und falsche Ansichten zu widerlegen, würde es schlechterdings keine Vorurteile und keine falschen Ansichten mehr geben.
Also ist hier, des Langen und Breiten, von einem notwendigen Buch zu berichten. Sein Autor, Literaturwissenschaftler in Frankfurt am Main, betreibt darin nichts weniger als dem gesamten Müll, der zur vermeintlichen Samurai-Ethik zirkuliert, die Grundlage zu entziehen. Dabei hält er deutlich fest, dass der überwiegende Teil dieses Mülls nicht in Japan, sondern außerhalb Japans produziert worden ist und reproduziert wird. Oft im Umfeld einer völlig hanebüchenen Kampfsportideologie oder einer um nichts weniger unsäglichen Management-Literatur, da aufgeblasene Ratgeber zu Unternehmertum & Betriebsführung großkotzig ahistorisches, von jeglicher philosophischen Tradition unbelecktes Wirrzeug schwafeln.
Diese Verbissenheit, mit der man etwa das Hagakure als eine verbindliche Schilderung von Verhaltensnormen einer versunkenen Vergangenheit glaubt, hat in Japan lediglich in den Köpfen besonders starrsinniger Menschen Platz gegriffen, die es zudem mit den geschichtlichen Entwicklungen nicht so genau genommen haben. Bekanntlich tritt das Hagakure zu einem Zeitpunkt mit dem Anspruch Werte zu setzen oder wieder einzusetzen in Erscheinung, da es die Samurai in der darin beschriebenen Lebensweise gar nicht mehr gegeben hat. Das erinnert frappant an das europäische Rittertum und die Durchsetzung der so genannten ritterlichen Tugenden (Treue, Freigebigkeit, Tapferkeit und höfisches Verhalten). Diese Tugenden werden endlich zu einem Zeitpunkt allgemein als verbindliche beschworen, als es die Ritter als einem in Waffen reitenden Stand gar nicht mehr gegeben hat.
“Bushidō” als Begriff geht auf Yamaoka Tesshū und die Meiji-Zeit zurück. Seinen pseudo-religiösen, theatralischen und fiktiven Charakter offen zu legen, ist das Ansinnen des Autors Bierwirth. Dabei beruft er sich auf den britischen Japanologen Basil Hall Chamberlain, der sehr pointiert darauf verwiesen hat, dass die Japaner bei weitem nicht alles glauben, was sie vermeintlich glauben. [Wahrscheinlich hat Pragmatismus in Ostasien, und zumal in Japan, eine viel längere Tradition als in Europa.] Mit Akutagawa Ryūnosuke wird an einen Autor erinnert, der 1916 unter dem Titel “Das Schnupftuch” (shukin), eine köstliche Parodie auf Nitobe Inazōs folgenschweres Elaborat “Bushido – The Soul of Japan” verfasst hat. In der Parodie werden die vermeintlichen japanischen Werte als Beschränkung menschlicher Wesenheit glänzend karikiert. Diese erfrischende Ironie hat mich daran erinnert, wie in der Frühzeit des Kabuki-Theaters, als noch von einem onna kabuki gesprochen werden konnte, Frauen in der Maske der Schwertträger das merkwürdige Schreiten der Samurai zum Gaudium ihres Publikums nachstellten. [Bekanntlich wurden die Frauen als Darstellerinnen sehr rasch aus dem Kabuki verjagt; vorgeblich um die Sitten zu wahren!]
Bierwirth verweist darauf, dass die Samurai-Erzählung (die Überlieferung in jeglicher Form) im Schulwesen des zeitgenössischen Japan überhaupt keine Rolle spielt. Natürlich kennt jeder die Geschichte der 47 Ronin, aber Japaner sein und diese Geschichte nicht kennen wäre so wie im deutschsprachigen Raum aufzuwachsen und Rotkäppchen für irgendeinen Trampel zu halten! Im Japandiskurs (nihonjinron) spielen Samurai nur eine marginale Rolle. (vgl. S. 62) Im Übrigen seien viele Missverständnisse, die wir im Westen mit Japan herumtragen, auf Ruth Benedicts Opus magnum “The Chrysanthemum and the Sword” zurückzuführen. Vor allem die Begriffe Gruppenorientierung und Schamkultur fielen darunter. Völlig irrwitzig sei es auch, sich die Tokugawa-Zeit mit Samurais voll gestellt vorzustellen. “Ein erheblicher Teil der Tokugawa-Samurai war in Wirklichkeit echt oder verdeckt arbeitslos (kobushin)”(S. 45), führt der Autor aus, einem Zitat Katsu Kōkichis voranstellend.
Wer sich die Birne etwas durchlüften will, der greife unbedingt zu diesem Buch!
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