Die Politik Japans vor und während des Pazifischen Krieges
Buchtitel: Japan im Pazifischen Krieg. Herrschaftssystem, politische Willensbildung und Friedenssuche
Autor: Gerhard Krebs
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2010
ISBN 978-3-89129-010-1
Der ehemalige österreichische Bundeskanzler ‚Kohlenferdl’, alias: Dr. Fred Sinowatz, ist mit den Worten „Das ist alles sehr kompliziert!“ im kollektiven Gedächtnis einer politisch interessierten Öffentlichkeit haften geblieben. Was als Kennzeichnung zeitgenössischer Verhältnisse nach wie vor Anspruch auf Gültigkeit besitzt, kann aber auch für die Charakterisierung vergangener Abläufe herhalten und beim Studium vorliegender, überarbeiteter Habilitationsschrift des Japanologen Gerhard Krebs fühlte ich mich an die zitierten Worte immer wieder erinnert. Der Autor stellt in der launigen Vorbemerkung zudem klar, welchen Zeitaufwandes es bedarf um ein derartiges Standardwerk, um das es sich zweifellos handelt, auf den Weg zu bringen. Wenn ich bekenne, ich zolle dem gelungenen Unterfangen uneingeschränkt Respekt, ist das eigentlich noch untertrieben. Man fühlt sich von dem profunden – Verzeihung! – ‚Ziegel’ (807 Textseiten!) geradezu überwältigt.
Dass, salopp formuliert, das totalitäre Japan, dessen Aggressionspolitik zu keinem Zeitpunkt mit jener des nationalsozialistischen Deutschland in eins gesetzt werden kann, trotz (oder wegen?) einer Konstellation von einander widerstreitenden Mächten im Innern, derart konsequent an und in den Abgrund schlittern konnte, verwundert nach Lektüre des Buches doch sehr. Sind am Ende die Katastrophe und das Leiden von Millionen Menschen einer Perlschnur von Zufällen geschuldet, die im Grunde auch anders hätte gereiht werden können?
Das Buch wendet sich in erster Linie an Historiker und meines Erachtens nicht so sehr an historisch interessierte Laien, wiewohl beiden die Lesbarkeit gleichermaßen entgegenkommt. Aber indem es innerhalb des genannten Zeitrahmens die Ereignisse sehr detailliert aufarbeitet (und dabei seinen Schwerpunkt auf japanische Quellen legt), vermag sich der ungeduldige Leser in ebendiesen Details auch zu verlieren. Da aber, wie oben gesagt, die Dinge zu keinem Zeitpunkt einfache gewesen sind, ist es freilich notwendig die Entwicklung der Verhältnisse zu erhellen, um vorschnellen Schlüssen und Pauschalurteilen die Grundlage zu nehmen. Dabei wird nie Schönfärbelung betrieben und anstatt dessen durch das Zurechtrücken der Dinge die eine oder andere liebgewonnene Vorstellung ruiniert, zum Beispiel die Mär von der geradezu servilen Abhängigkeit der Japaner von ihrem Kaiserhaus. Der Chauvinismus des kokutai, seines Ewigkeitscharakters entkleidet, entpuppt sich dann als ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts, das der Ära der Meiji-Restauration – der Autor stellt klar, dass die Übertragung des japanischen Fachbegriffs meiji ishin eher auf ‚Erneuerung’ zu lauten hätte – von Seiten gewisser gesellschaftlicher Kreise als deren ideologischer Unterbau entworfen und kolportiert wurde.
Die erwähnten einander widerstreitenden und durchaus ins Handwerk pfuschenden Kräfte, die sich trotz Konformitätsdruck zu etablieren verstanden, wohl nicht zuletzt aus den unaufgelösten gesellschaftlichen Widersprüchen heraus, blieben allerdings in ihrem Handeln eben jenem eingemahnten Harmoniebedürfnis unterworfen, was wiederholt folgende Ergebnisse zeitigen konnte: „Wieder einmal war in einem Zustand oberflächlicher Einmütigkeit eine Entscheidung von großer Tragweite gefällt worden.“(S. 101) Kann man vor diesem Hintergrund die Epoche der politischen Morde in den 1930er Jahren als ein Wiederaufleben der Ninja-Taktik deuten, deren Zweck die Mitteln heiligte, solange die wahren Drahtzieher weder je mit dem Zweck noch mit den Mitteln in Zusammenhang gebracht wurden?
Resümee: Zweifellos hat es in Zeiten des Pazifischen Krieges verbrecherisch handelnde Japaner gegeben (mehr als genug, worauf jüngst wieder ein Veteran in der Asahi Shimbun hingewiesen hat [„Ex-Soldier regrets atrocities“ von Maki Okubo, Asahi Shimbun, 18.8.2010]), zu den ‚bösen Jungs’ ist der Tennō Hirohito aber wohl eher nicht zu zählen. Dass es in Japan Kräfte gab, die aus ihrer Gegnerschaft zum Krieg kein Hehl machten, darüber herrscht kein verbreitetes Bewusstsein, noch dass diese Kräfte Wesentliches zur Verständigung mit den USA nach 1945 beitrugen und somit die Grundlage für die Bündnispolitik der beiden Mächte im pazifischen Raum legten. Gerhard Krebs’ monumentales Werk leistet einen nicht zu ignorierenden Beitrag diese und andere Wissenslücken zu schließen.
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