Mehlweiß geschminkte Gesichter und geschwärzte Zähne
Buchtitel: Japans Kurtisanen. Eine Kulturgeschichte der japanischen Meisterinnen der Unterhaltungskunst und Erotik aus zwölf Jahrhunderten
Autor: Michael Stein
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 1997
ISBN 3-89129-314-3
Nein, das ist kein Supplementband zur Kulturgeschichte der Prostitution! Japans Kurtisanen sind auch nicht mit den griechischen Hetären verwandt, die gelegentlich die Lyra zupften und der angeblich hochgeistigen Konversation selbsternannter Heroen (die mussten immerhin ihren Wein stark mit Wasser verdünnen, um ihn zu überleben!) Paroli bieten (oder wenigstens folgen) konnten. Vorliegendes Buch ist zunächst ein erhellender Beitrag zur Geschichte der Geschlechterverhältnisse in Japan. Über dem man wahrlich trübsinnig werden möchte (wenn man etwa die Arbeiten der japanischen Feministin Yasuko Imai studiert). So kann sich die Lektüre dieser profunden Abhandlung ebenso gewaltig aufs Gemüt schlagen. Dass sich Männer im Umgang mit Frauen allenthalben ziemlich daneben benehmen (können), scheint sich geradezu als anthropologische Konstante aufzudrängen (und ist es hoffentlich doch nicht!). [Dass sich das Geschlechterverhältnis im antiken Griechenland so gravierend zu Ungunsten der Frauen veränderte, hat man des Öfteren den ausbrechenden Perser-Kriegen angelastet. Im Zuge der neueren Forschung, die in den Perser-Kriegen viel ideologische Überwölbung der Fakten ausmachen, ist diese Erklärung auch schon wieder deutlich in Frage gestellt worden. Das Rätsel hinreichend zu klären, dazu hat zuletzt auch Bourdieus ‚La domination masculine’ nicht wirklich beigetragen. Wir werden uns in Konfrontation mit der japanischen Situation also einmal mehr den mahnenden Zeigefinger ersparen müssen.]
Der Autor unterlegt seinen Schilderungen eine beeindruckende Anzahl von Literaturzitaten, die in Summe etwas redundant anmuten, da sich ihr Tenor nur in Nuancen wandelt. Andererseits wird aber damit verdeutlicht, dass Michael Stein sehr genau weiß wovon er handelt. Und dieses Wissen ist beeindruckend. Die Untersuchung steckt einen Zeitraum vom japanischen Altertum bis zur Gegenwart ab. Die weltberühmten Geishas (Wortbedeutung: Künstler. Darum wohl die ursprüngliche Bezeichnung onna geisha.) sind eine Hervorbringung der späten Edo-Zeit und spiegeln den Glanz längst vergangener Könnerschaft nicht wieder. Die frühen Kurtisanen zeichnete eine Fähigkeit der Dichtkunst und des musikalischen Vortrags aus, die in den Wirren vor der Reichseinigung zum Untergang verurteilt war, da auch die Höhergestellten, die sich noch eine diesbezügliche Feinsinnigkeit abrangen, vom derben Menschenschlag des wenig zimperlichen Kriegsherrn beerbt wurden.
“Das wichtigste Merkmal japanischer Kurtisanen ist ihr Künstlertum. Alle Kurtisanen waren Künstlerinnen, und ihre spezifische Domäne waren die Unterhaltungskünste.”(S. 13)
Die Anfänge des Kurtisanentums stehen wahrscheinlich mit dem Schamanismus in engem Zusammenhang und reichen in eine Zeit weit vor den ersten schriftlichen Hinweisen, die aus dem 8. Jahrhundert (n. Chr.) datieren, zurück. In der Nara-Zeit werden die ersten Kurtisanen namentlich fassbar, sie üben sich in der (freilich nicht ausschließlich) schöngeistigen Erbauung der Hofleute und ihr Ansehen wächst mit der Wertschätzung ebendieser. In der Hochzeit der asobi gibt es so genannten Kurtisanen-Gilden, die die Ausbildung der Kurtisanen (Lehrjahre) im Auge behalten und eine Art Interessenvertretung etablieren. Die Heian-Zeit bringt wahre Stars hervor. “Die professionelle Ausbildung der Kurtisanen in den modischen Unterhaltungskünsten war die Eigenschaft, die sie grundlegend von Dirnen unterschied…”(S. 105) Konkurrenz erwuchs den asobi zeitweilig durch die kugutsu, den Frauen der gleichnamigen Bevölkerungsgruppe, die eine Art fahrendes Volk darstellte und sich um die Gebote der Obrigkeit wenig kümmerte. Die Sangeskunst der kugutsu galt als besonders exzeptionell. Da sie die Stimmbänder stark in Mitleidenschaft zog, forderte sie den Frauen außerordentliche Anstrengungen ab. Mit der Sangeskunst verschwand auch das Liedgut der kugutsu und schließlich endete deren Freiheit mit der Durchsetzung ihrer Sesshaftigkeit. Den kugutsu als Konkurentinnen der asobi folgten die shirabyōshi, der Kamakura-Zeit die turbulenten Entwicklungen der Muromachi- und Momoyama-Zeit, die nicht nur eine Beschränkung der Rechte der Frauen (“Ehebruch galt, wenn der Mann ihn beging, als straffreies Kavaliersdelikt, während Frauen für das gleiche Vergehen bestraft wurden.” S. 468), sondern auch eine allgemeine Verrohung der Sitten brachten. Unter diesen gehen die Kurtisanen ihrer künstlerischen Fertigkeiten beinahe vollständig verlustig. Junge Frauen werden von Menschenhändlern zu Diensten und Handlungen gepresst, die sie sich freiwillig nie ausgesucht hätten. Die Entwicklung mündet in der Edo-Zeit in der Schaffung der Vergnügungsviertel der großen Städte mit ihren zahllosen Kurtisanenhäusern und getarnten Etablissements. Über die vielfältigen Misshandlungen, die den Frauen dort widerfahren, lässt der Autor keinerlei Zweifel aufkommen. Wie es schließlich nach 1945 weitergeht, schildert Michael Stein nicht weniger grimmig. Er verkneift sich keineswegs den Hinweis, dass sich Japan zum Frauenwahlrecht erst 1946 unter US-amerikanischer Bestatzung durchringt.
Alles in allem ein empfehlenswertes Buch!
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