Aufsätze von Maruyama Masao

Buchtitel: Freiheit und Nation in Japan. Ausgewählte Aufsätze 1936 – 1949, Band 1
Autor: Maruyama Masao [Übersetzer: Wolfgang Seifert]
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2007
ISBN 978-3-89129-875-6

In der Person von Maruyama Masao (1914 – 1996) begegnet man einem japanischen Gelehrten von bemerkenswerter Belesenheit und ausgewiesener intellektueller Integrität, der zur gegenwärtigen Debatte über den Artikel 9 der Japanischen Verfassung wohl mit Leichtigkeit die treffenden Worte gefunden hätte.
Im Buch „Japanische Denker im 20. Jahrhundert“ von Ueyama Shunpei (Iudicium, 2000) wurde auf Maruyamas Kapazität verwiesen. Als monographische Arbeit in deutscher Übersetzung liegt außerdem „Denken in Japan“ (Suhrkamp Verlag, 5. Aufl. 2006) vor, ein Werk, das mir vor Jahren etwas schwerfällig ankam, das ich mir, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des hier zu besprechenden Bandes, allerdings noch einmal zu Gemüte führen werde.
Man könnte Maruyama etwas verknappt als einen Politikwissenschaftler handeln, der sich Untersuchungen zur Entwicklung der politischen Ideengeschichte widmete. Dabei repetierte er nicht einfach die Ereignisse nach ihrer Chronologie und exhumierte die Fakten, die den Fiktionalisierungen zugrunde liegen, sondern spürte den gesellschaftlichen Bedingungen für die Entwicklungen Japans seit der so genannten Meiji-Restauration nach. Auf seinem Weg nahm er Anstöße von zahlreichen europäischen Denkern auf (allein mit der deutschen Geistesgeschichte war er auf das Vortrefflichste vertraut) und konfrontierte sie mit japanischen Positionen. [Dabei drängt sich die Erkenntnis nahezu auf, dass „östliches“ und „westliches“ Denken nicht diametral voneinander geschieden ist, sondern sich wechselseitig ergänzen und unterstützen kann.]
Der Übersetzer und Herausgeber Wolfgang Seifert hat für das vorliegende Buch vier Aufsätze Maruyamas versammelt, sie mit einem zusätzlichen und die Belegstellen des Autors erläuternden Anmerkungsapparat ergänzt, sowie den Abhandlungen ein Glossar beigesellt, das dankenswerter Weise keine Selbstverständlichkeiten verhandelt (wie in anderen, bisweilen schulmeisterlichen Herausgeberwerken üblich), sondern über Schlüsselbegriffe der japanischen Geschichte und ihre Handlungsträger informiert.
Auf zwei der vier Aufsätze sei hier besonders hingewiesen.
„Die Formung des japanischen Nationalismus in seiner ‚Frühzeit’“ erschien ursprünglich 1944, unmittelbar bevor Maruyama mobilisiert wurde und wie Millionen andere zu befürchten hatte, nicht mehr wiederzukehren. Nicht nur dass diese Arbeit erscheinen konnte, ist bemerkenswert, sondern nicht weniger die Tatsache, dass sie nicht gleich die Beendigung seines Werdegangs einläutete. Maruyama stellte als ein wenig schmeichelhaftes Charakteristikum des späten Tokugawa-Staates die vollkommene Entmündigung der Massen und deren Denunzierung als „dummes Volk“ durch die Obrigkeit dar. Die turbulenten Entwicklungen im Anschluss an die Ankunft der „Schwarzen Schiffe“ werden zudem nicht nur als ein Ringen einiger weniger antagonistischer Strömungen gedeutet, sondern als viel komplexere Angelegenheit geschildert, die allem Gerede von der homogenen japanischen Gesellschaft die Grundlage entzieht.
Der zweite, aus der Versammlung von vieren zu erwähnende Aufsatz, „Logik und Psychologie des Ultranationalismus“ wurde erstmals 1946 publiziert und bietet eine für damalige Verhältnisse, und darüber hinausreichende, konzise „Pathologie (…) der Geistesstruktur des Tennōsystems“(S. 144). Dieses hohe Reflexionsniveau unmittelbar nach Kriegsende war wohl deshalb möglich, weil Maruyama sich auch schon vorher nicht korrumpieren ließ und seiner Fähigkeit zum eigenständigen Denken nicht durch die unausweichliche Eidesleistung verlustig gegangen war. Keine Haarspaltereien über die von japanischen Truppen zu verantwortenden Kriegsgräuel werden da bemüht und schon darum wäre die Lektüre dieses Aufsatzes so manchem (japanischen) Politiker ans Herz zu legen.
Maruyama beschämt die Nachgeborenen und es drängt sich die Frage auf: Wo sind die Maruyamas der Gegenwart?
[Noch ein Nachsatz: Wolfgang Seifert verweist in einer Anmerkung (2, S. 134) auf ein Japan betreffendes Buch der österreichischen Journalistin und Kriegsreporterin Alice Schalek, der Karl Kraus in „Die letzten Tage der Menschheit“ ein schauerliches Denkmal durch einfaches Zitieren ihres Jargons gesetzt hat. Na ja, vielleicht hatte die Dame auch noch andere Qualitäten, als das zu verherrlichen, was in Wahrheit selbst das Ende der kümmerlichsten Herrlichkeit bedeutet. Dem Herausgeber bin ich dankbar für diesen Tipp.]



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