Mönch in bedrückenden Zeiten

Buchtitel: Ikkyū Sōjun. Der Zen-Mönch „Verrückte Wolke“ und seine Zeit
Autor: Evgeny S. Steiner. Aus dem Russischen übersetzt von Peter Raff
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2018
ISBN 978-3-86205-131-1

Das vierzig Jahre alte Buch eines ausgewiesenen russischen Gelehrten über einen exzentrischen, für die japanischen Kunstformen immens einflussreichen Zen-Mönch, erstmals übertragen ins Deutsche – ein Lehrbeispiel dafür, wie man einen verlegerischen Ladenhüter programmiert? In der Vorstellung von Leuten vielleicht, die in Vorurteilen denken. Allen anderen wird die Greifbarkeit dieses beeindruckenden Werks zum Geschenk. Liegt damit doch die erste umfassende Monographie des legendären Zen-Mönchs aus der Epoche der streitenden Daimyate in unserer Sprache vor, den man in Japan kennt wie den sprichwörtlichen bunten Hund. Nebenher wird viel Gelehrtes über die Entwicklung des Buddhismus dargelegt, das kursorisch Bewanderte mit einer Fülle an Details versorgt, die darüber rätseln lässt, welchen Anteil an Lebenszeit es wohl benötigt hat sich die historischen Zusammenhänge zu erschließen.
Das Buch überzeugt als taugliche Handreichung für die einschlägige Klientel der wissenschaftlich mit der Materie Befassten wie für Interessierte sonst welcher Colour.
Ikkyū war der Sohn eines Tennōs, zu Zeiten, da den japanischen Kaisern in ihrer Handlungshoheit bereits das Wasser abgegraben war. Aber nicht aus diesem Grund schlug der, bereits zum Weisen Avancierte, die Erwägung ihn zum Nachfolger seiner Vaters zu inthronisieren, aus. Von seiner Mutter ist, der Ungerechtigkeit tendenziöser Überlieferung folgend, der Name nicht erhalten. Zweifellos aber sind einige Gedichte, die Ikkyū allesamt in chinesischer Sprache verfasste, ihr zugedacht.
Die Entwicklung jener Traditionslinie des Zen, der „Fünf Berge“-Richtung (gozan), in welche die „Verschnaufpause“ – die wörtliche Übertragung des Namens Ikkyū – sich einfand, legt Steiner profund dar. Von Beginn an fügt sich unser Protagonist aber nicht ins Bild jener Saturiertheit, die die Aufrechterhaltung der Tradition als Anbetung der Asche versteht, anstatt das Feuer weiterzureichen. Zahlreiche Anekdoten, überliefert in einander durchaus auch widersprüchlichen Quellen, schildern einen „Geistlichen“ auf dem Weg seine Bestimmung zu finden, indem er aus dem Rahmen fällt. Nach Unterweisungen durch verschiedene Meister und den Erhalt seinen Klosternamens (Sōjun), der Widerfahrnis des Satori und der Zurückweisung des Erleuchtungszertifikats, begibt sich Ikkyū dreißig Jahre auf Wanderschaft. Er lebt ein heiliges Narrentum, das die Nähe zum Einfachen, und damit zum einfachen Volk, sucht, lebt in den Gefilden der Halbwelt, verfasst Traktate und nahezu täglich ein Gedicht, in die Verweise auf den Metaphernreichtum der chinesischen Poesie und die Vorfahren im Geiste einfließen. Die Hinwendung zur Kunst und ihre Formen lässt sich durch den Ausdruck des „zweckdienlichen Mittels“ begründen, führen Logik und Vernunft einen aus der „Seinsvergessenheit“ doch nicht heraus. Tatsächlich rebelliert Zen „gegen die Tyrannei der Sprache, die das Bewusstsein zwingt, innerhalb eines Netzwerkes von Wörtern und syntaktischen Beziehungen zu denken.“(S. 71)
In die undankbare Rolle des lebensbegleitenden Gegenspielers sieht man den Mönch Yōsō gedrängt, an den Ikkyū scharfzüngige Invektiven adressiert. Im vorgerückten Alter findet er noch die Liebe seines Lebens in Gestalt der blinden Sängerin Shin. Hat sie die „verrückte Wolke“(kyōun) – eine der Eigenbeschreibungen – um Jahre überlebt oder hatte stattdessen er ihren Tod zu betrauern? Die Überlieferungen sind widersprüchlich. Wie gleichsam alles Schrifttum des im achten Lebensjahrzehnt Dahingeschiedenen sich authentisch zu erschließen eine nicht zu bewältigende Herausforderung bleiben muss. Denn, wie Steiner ausführt: „Der Kontext, der neun Zehntel seiner Texte ausmachte, existiert nicht mehr, und wir können nur noch Mutmaßungen äußern.“(S. 289)
Als Tempel Ikkyūs bewahrt bleibt der Daitokuji in Kyoto, den er in seinem erlauchten Amt als Abt aus Ruinen wieder zu errichten veranlasste. In einer Zeit beschwerlicher Bedrängnisse allenthalben.
Den Umschlag des Buches ziert ein realistisches Portrait, angefertigt von dessen Schüler Bokusai. Aus den Augenwinkeln wähnt der Betrachter sich taxiert und stellt die Frage: Durch welche Handlungen wollte der Konterfeite uns Heutige wohl frappieren?



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