Japan und Korea am Ostasiatischen Meer

Buchtitel: Geschichte der japanisch-koreanischen Beziehungen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart
Autor: Reinhard Zöllner
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2017
ISBN 978-3-86205-216-5

Kim Dae-jung, der zweite zivile Präsident der Republik Korea (Südkorea) nach einer lange währenden oppressiven Phase der Militärherrschaft, galt nicht nur als erklärter Bewunderer des europäischen Einigungswerks, sondern ebenso der deutsch-französischen Verständigung, die hierfür bekanntlich die Grundlage setzte. Dass ehemalige Erbfeinde überein gekommen waren alles Dunkle der Vergangenheit nicht die Zukunft bestimmen zu lassen, wünschte er sich als Anregung, Gleiches auch anderswo auf den Weg zu bringen. Dafür, nämlich wie die Bürde der Geschichte zwischen Völkern erleichtert werden kann, ohne doch ihr Gewicht zu leugnen, gibt es kein Universalrezept. Auch ist die Rolle eines Mediators in der Dramaturgie des zwischenstaatlichen Zueinanderfindens nicht immer erwünscht. Tatsächlich wurde einst subtiler Diplomatie der Bundesrepublik, japanisch-koreanischer Konsultation in allen schwelenden Belangen Raum zu bieten, höflich beschieden darauf verzichten zu wollen. Für Außenstehende, die ein gewisses Faible für Japan und Korea gleichermaßen aufbringen, sind weniger die Animositäten zwischen beiden Staaten als Probleme schwer nachvollziehbar, als vielmehr die seltsam gelagerte, obskurer Konjunktur unterworfene Bereitschaft diese auch ernsthaft lösen zu wollen.
Reinhard Zöllner hat ein Mammutvorhaben bewältigt, er hat nichts weniger als das Kompendium geschaffen [zumindest für den deutschsprachigen Raum], das akribisch die wechselvolle Geschichte Japans und der koreanischen Halbinsel anhand ihrer Verknüpfungspunkte listet. Der wissenschaftliche Anspruch, nicht wertend, allemal aber die Positionen in ihrer Widersprüchlichkeit kenntlich zu machen, überzeugt allenthalben. Ebenso wie das Ostasiatische Meer als den Handlungsraum, der die Protagonisten über die Zeitläufte hinweg verbindet, einzuführen. Damit hat man sich keine Analogie zu Fernand Braudels Epochengeschichte Philipps II. aus mittelmeerischer Perspektive, noch dessen ambitionierte Vervollständigung durch David Abulafia [„Das Mittelmeer“] vorzustellen, was schlicht der Geographie geschuldet bleibt. [Und selbstredend der Tatsache, dass der Autor nicht anhebt eine erschöpfende Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des genannten Raums zu kompilieren.] Folglich fasst Zöllner die Kapitelüberschriften seines Buches unter den Begriff der Ökumene, beginnt bei den Anfängen menschlicher Besiedlung in archaischer Zeit und endet in der unmittelbaren Gegenwart. Dass das Ungeklärte im Herkommen der Japaner diesbezügliche offene Fragen zu jenem der Koreaner spiegelt, könnte einerseits als Arkanum der Verwandtschaftsbeziehung ausgelegt werden, andererseits aber einer Grundverschiedenheit das Wort reden. Worauf Nationalisten beider Seiten herumreiten, errät sich unschwer. Alles an Übel und Absonderlichkeit ist der jeweiligen anderen Seite verantwortet. Dabei bestand vor der Ära des Antagonismus eine des Austausches über zunächst keineswegs klar konturierte Territorien hinweg. Es scheint ausgemacht, dass hierbei bereits im Neolithikum an Seewegen zahlreichere befahren wurden als heute bekannt sind. Schließlich ereignete sich der vielfältige Kulturaustausch nicht als wiederholte Überwältigung, sondern, im Lichte der zeitgenössischen Forschung, wie Zöllner betont, als Überzeugungseffekt, als Akt des „Mitziehens“. Bestimmte Kulturleistungen legen im Kontext ihrer Bewertung also nahe sie sich ebenso anzueignen, um auf „Höhe der Zeit“ zu bleiben. Dass man sich dennoch immer wieder wechselseitig unterstellte, genau dieses Niveaus zu entbehren, dafür lieferten die inneren Verhältnisse in den jeweiligen Ländern Anlass. So ging die Brutalisierung der japanischen Gesellschaft – „Blutvergießen in allen Größenordnungen war in Japan seit dem 14. Jh. ein nahezu alltägliches Ereignis“(S. 122) – den expansiven Gelüsten unter Hideyoshi voraus. Die gescheiterten Invasionen der koreanischen Halbinsel, die diese dem japanischen Machtbereich zu unterwerfen trachteten, zeitigten immerhin „enorme Verluste an Menschenleben, Kulturgütern und Wirtschaftskraft“(S. 157). Der Ära des Krieges folgte sodann eine der zeremoniellen Diplomatie, in denen Gesandtschaften einander besuchten. Dass die Sprache der Verständigung nicht immer zu einer gemeinsamen geriet, war einmal dilettierenden Dolmetschern, ein andermal dem Streit um korrekte Anreden, sowie um legitime Siegelung von Begleitschreiben geschuldet. Fand man zueinander, war dies nicht selten sogenannten „Pinselgesprächen“ zu danken: Japaner und Koreaner tauschten sich auf Chinesisch aus, trafen sich in der Kalligraphie von Kanji/Hanja.
Dem bekannten Streit um die Liancourt-Felsen und seiner Entstehung, die auch von verwirrender Benennung handelt und ebensolchen Seekarten, ließe sich die Geschichte von Tsushima beigesellen, jener Insel, die wie ein Trittstein von Japan nach Korea in der See liegt, und aufgrund ihrer Beschränkungen ausreichend für alle Bewohner Landwirtschaft zu treiben, in die Rolle nachgerade gedrängt wurde, Bindeglied, mitunter aber auch Agent Provokateur zu spielen. Auch darauf kommt Zöllner ausführlich zu sprechen.
Der sukzessive Verlust der koreanischen Souveränität auf dem Weg vom 19. ins 20. Jahrhundert mündete in der Annexion durch Japan. Dass sich die Jahrzehnte der unterdrückten Eigenständigkeit nicht nur als ein Anziehen der Daumenschrauben an den Gliedmaßen eines von der Welt vergessenen Delinquenten, lesen lassen, zeigt Zöllner auf, wenn er die Brüche und Wandelbarkeiten in der japanischen Kolonialpolitik rekonstruiert. So erweisen sich Maßnahmen zur Anhebung der Alphabetisierung alles in allem als Fehlschläge, jene zur Hebung der Industrialisierung letztlich als Bevorzugung der nördlichen Regionen vor den südlichen, was zu Entwicklungen verhilft, die dann nicht mehr der Kolonialmacht zuzuschreiben sein werden. Trotz wachsenden Assimilierungsdrucks waren nicht alle koreanischen Militärangehörige in Japans Armeen Gepresste und das System der euphemistisch sogenannten „Trostfrauen“ hat nicht nur eine totalitäre Soldateska, sondern auch aktive Kollaboration (vgl. S. 388) zu verantworten.
Die Bedeutung der „Schülerunruhen von Kwangju“ im September 1929 für das nationale Selbstverständnis Koreas lässt sich womöglich gar nicht überschätzen, wenn man bedenkt, dass die Erinnerung von jenem Massaker in den Maitagen des Jahres 1980 überlagert werden, das ein Initial dafür darstellt, wohin die Republik Korea sich letztlich entwickelt hat: zu einem funktionierenden demokratischen Staat in einer Region, in der genau diese Eigenschaften dünn gesät sind.
Reinhard Zöllner hat ein Buch von Gewicht geschrieben.



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