Samurai oder Von der Würde des Scheiterns

Buchtitel: Samurai oder Von der Würde des Scheiterns. Tragische Helden in der Geschichte Japans
Autor: Ivan Morris [Übersetzer aus dem amerikanischen Englisch: Ursula Gräfe und Gunther Ludwig]
Verlag, Erscheinungsjahr: Insel, 1999
ISBN 3-458-34215-X

Dieses Buch bietet, wiewohl die Originalausgabe bereits 1975 erschienen ist, allen eine zuverlässige Quelle, die sich mit bestimmten Überlieferungen als zwingender Beeinflussung japanischer Mentalität auseinandersetzen wollen. Vorgestellt werden Männer aus den unterschiedlichsten Epochen, beginnend bei Yamato Takeru, dessen Wirken im 4. Jahrhundert verortet wird, über Yorozu (6. Jhdt.), den traurigen Prinzen Arima no Miko (7. Jhdt.), Sugawara no Michizane, Minamoto no Yoshitsune (12. Jhdt.), Kusunoki Masahige (14. Jhdt.), Amakusa Shirō, der Anführer des Shimabara-Aufstands im 17. Jahrhundert, Ōshio Heihachirō, sowie Saigō Takamori (beide 19. Jhdt.) und endend bei den Freiwilligen der unsäglichen Selbstmordeinsätze während des Pazifikkriegs. Gemeinsam ist allen das Scheitern ihres jeweiligen Unterfangens in wenig aussichtsreicher Lage und oftmals scheint das Fiasko mit dem Handlungsimpuls geradezu verschwistert. Die Helden nehmen mit verblüffender Gelassenheit das Opfer auf sich, sterben häufig in der Rolle des vermeintlichen Verräters, der sich dann nachträglich als der wahre Aufrechte herausstellt und werden dafür posthum rehabilitiert. Das Scheitern ist dem tragischen Helden handlungsimmanent, sein Wesen erfüllt sich erst in der Tragödie und immer heißt hier scheitern den eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Ivan Morris weist darauf hin, dass der “ehrenhafte Status des Kriegsgefangenen, der sich schon früh in der westlichen Kriegsführung durchgesetzt hat” (S. 30) in Japan nie anerkannt worden ist. Dort gilt der überwältigte Gegner als ehrlos und hat alle denkbaren Schrecken zu gewärtigen. [Eine gewisse Parallele ergibt sich vielleicht zu den Griechen der klassischen Antike, wo es als ehrenrührig und als Ausweis von Feigheit galt, im Falle einer militärischen Niederlage ohne sichtbare Blessuren heimzukehren. Die Besiegten ernteten den Schimpf ihrer Angehörigen; für Frauen übrigens die einzige Gelegenheit diesen auch öffentlich kundzutun. Nichtsdestoweniger hat sich ein Mann des Schwertes wie der Poesie, nämlich Archilochos, über eine solche “Heldendoktrin” als quasi-psychosoziales Moratorium in seiner Dichtung lustig gemacht. In Japan wohl unvorstellbar!]
Das Buch ist mit einem fulminanten Anmerkungsapparat versehen, der, auch wenn das mitunter ein wenig schwer zu handhaben sein wird, unbedingt analog zur Lektüre des Haupttextes konsultiert werden sollte. Das Glossar ist ebenfalls voll mit verweisenden Details, die einem die mitunter reichlich bizarren Abläufe der japanischen Geschichte erhellen. Eine knappe Chronologie und eine, zeitbedingt, leicht angestaubte Bibliographie begleiten das Ganze.
Mit Saigō Takamori wird dem Leser etwa das Schicksal jenes Mannes näher gebracht, das Ken Watanabe in der Rolle desselben in dem, zugegeben, blümeranten Schmachtfetzen “The Last Samurai” verkörperte – oder eben nicht verkörperte, weil der historische Takamori ein eher hünenhafter, na ja, sagen wir: Wappler gewesen ist. Der Mann, der einst Kaiser Meiji zu dem verholfen hat, was er wurde und schließlich den sattsam bekannten Satsuma-Aufstand mit nicht weniger als 15 000 Anhängern anführte, endete als letzter Samurai. Ihn als Schwärmer einer entschwindenden Vergangenheit zu missdeuten, wird seinem Wesen aber überhaupt nicht gerecht. Er scheint durchaus ein wackerer, rechtschaffener Kerl gewesen zu sein, dem noch heute vor seinem Denkmal im Ueno-Park in Tokio respektvoll gedacht wird.
Noch stärkeren Stoff bietet der Hintergrund der so genannten Kamikaze-Flieger. In Japan wurden sie übrigens als shimpū bezeichnet. Die durchaus freiwilligen Piloten fliegender oder schwimmender Bomben/Torpedos, von denen nur die wenigsten, und dann unbeabsichtigt, zurückkehrten, sollte man sich nicht als gehirnamputierte Finsterlinge phantasieren. Die Tragödie für Japan besteht meines Erachtens darin, dass hoffnungsvolle junge Männer (die meisten Anfang oder Mitte Zwanzig und mit einem Universitätsstudium am Hals) für einen militärisch komplett irrelevanten Einsatz ihr Leben opferten, aber für ihre Heimat in der Zeit des Wiederaufbaus ungleich wertvoller gewesen wären. Ivan Morris zeichnet die Geschichte (und Wirkungslosigkeit) dieser Einsätze akribisch nach, erörtert die Positionen hochrangiger Militärs und bietet Verständnishilfen auf Basis der nationalen Mythen an, denen sich eben kaum einer nicht unterworfen fühlte. [Dass es nicht auch Widerstand gegen den japanischen Militarismus, dass es nicht auch Desertion gegeben hat, ist damit natürlich keineswegs in Abrede gestellt. Die Geschichte dieser Männer und Frauen ist aber eine andere und soll an geeigneter Stelle passende Würdigung finden.]
Nach der Lektüre des Buches, und zwischenzeitlich immer wieder, drängt sich die Frage nach den heldenhaften Frauen auf. Hat es die in der japanischen Geschichte nicht auch gegeben? Ich finde es seltsam, auf keine Hu San Yang, Ng Mei oder Yim Wing Chun zu stoßen, wie sie chinesische Überlieferungen bevölkern. Japans Frauen scheinen, vielleicht einmal abgesehen von Hojo Masako, sich eher in duldender Rolle zu gefallen. [Oder sie wurden in diese Rolle vielmehr gezwungen.] Hatsuhana opfert sich für ihren Mann [sie stellt sich für 100 Tage in einen eiskalten Wasserfall], Prinzessin Ototachibana ebenso, und das Los von Frauen wie Hosokawa Gracia (Garashiya) oder Shizuka Gozen ist auch nicht gerade ein trostvolles. Vom Massenselbstmord auf Saipan ganz abgesehen.



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