Buch Nummer 1

Buchtitel: Kojiki – Aufzeichnungen alter Begebenheiten
Aus dem Altjapanischen und Chinesischen übersetzt und herausgegeben von Klaus Antoni
Verlag, Erscheinungsjahr: Verlag der Weltreligionen, 2012
ISBN 978-3-458-70036-4

Mitunter – und das gilt nicht nur fürs Fischessen – bietet es sich an eine Sache von ihrem Ende her anzugehen, erst die Beigaben zu einem Werk zu konsultieren und hernach das Werk selbst. Bei der hier vorliegenden ersten vollständigen deutschsprachigen Übertragung des Kojiki [die Übersetzung von Kinoshita Iwao erschien seinerzeit als Privatdruck bei einem japanischen Verlag] kann eine solche Vorgehensweise durchaus empfohlen werden. Auch wenn der einführende Kommentar beinahe den Umfang des Textes der Aufzeichnungen erreicht, sollte das keinen Interessierten abschrecken. Zumal der Band natürlich auch eine Handreichung an wissenschaftlich mit der darin dargelegten Materie Befassten bedeutet.
Das Kojiki ist neben dem Nihongi (oder Nihonshoki) das wohl bedeutendste im Kanon der klassischen Werke Japans. Und, wie der Herausgeber aufzeigt, seit je schon vereinnahmt worden. Was wiederum seinem Inhalt geschuldet ist. Vollzieht es doch den Nachweis von der göttlichen Abstammung der ungebrochenen japanischen Kaiserlinie seit Jinmu-Tennō.
Niedergeschrieben wurde das Konvolut im 8. Jahrhundert in der Ära der regierenden Kaiserin Genmei von einem gewissen Ō no Yasumaro, dessen Grablege im Jahre 1979 ein Zufallsfund zutage brachte. Die heutigen, auch in Japan kolportierten Textausgaben, fußen jedoch auf den (Re-)Konstruktionen des Gelehrten Motoori Norinaga, der die Anmutung der vermeintlich zugrundeliegenden altjapanischen Sprache schuf, die sich vom Chinesischen der originalen Niederschrift bewusst absetzte. [„Der Urtext des Kojiki ist nicht erhalten (…)“(S. 402)] Erst mit der verspäteten Popularität des Kojiki, konnten die „uralten Mythen“ Allgemeingut werden. Und das just zu dem Zeitpunkt, der dem gesellschaftspolitischen Wandlungsprozess der Ära Meiji unmittelbar voranging. Klaus Antoni regt im Übrigen an, den Prozess der Modernisierung Japans nicht allein als von außen oktroyiert (zunächst durch die US-amerikanische Hegemonie) zu betrachten, sondern sie ebenso auch als Beitragswerk innerjapanischer „Rückbesinnung“ und Prä-Nationalisierung zu verstehen.
Mit der in der Neuzeit erfolgten Sakralisierung des Kojiki – eine Überhöhung, die auch in der westlichen Welt kritiklos übernommen wurde, dank Lafcadio Hearns romantisierender Rezeption – geriet das Werk unter den Einfluss des Staats-Shintō, dessen Übersteigerung schließlich in der erzwungenen Preisgabe des Anspruchs der Göttlichkeit des Tennōs am 1.1.1946 zerbarst. Um das Kojiki als Nummer 1 der japanischen Literatur dennoch zu erhalten, wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg „entpolitisiert“ und ins Territorium der Volksliteratur eingemeindet.
Den Text weiterhin als Referenzwerk der japanischen Einzigartigkeit zu betrachten, verbietet sich indes auch mit Berücksichtigung der Forschungslage zu Werk und Landesgeschichte. [„Mit der Geschichte, wie sie uns die alten Quellen des 8. Jahrhunderts erzählen, hat die reale Ur- und Frühgeschichte Japans nichts zu tun.“(S. 280)]
Empfohlen sei, sich das Kojiki als Dichtung reinzuziehen und sich etwa von der Anzahl der gleich am Anfang in Erscheinung tretenden Götter – die an Kopfzahl durchaus an einen Dostojewski-Roman gemahnen – nicht verwirren zu lassen. Des Weiteren lasse man sich durch vermeintliche Fehlstellen im mythologischen Perimeter nicht durcheinanderbringen: „Bezeichnenderweise kennt die japanische Mythologie keine (…) Schöpfungsgeschichte des Menschen.“(S. 333)
Möge jener demokratisch legitimierte Premier in Kleinasien, der sich gegenwärtig (Juni 2013) wieder einmal besonders autoritär geriert, bloß nicht über folgende Sentenz aus der Vorrede stolpern: „Und die Aufrührer wurden zerschlagen wie Dachziegel.“(S. 11)



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