Taiwan unter japanischer Herrschaft

Buchtitel: Imperiales Wissen und koloniale Gewalt. Japans Herrschaft in Taiwan 1895 – 1945
Autorin: Nadin Heé
Verlag, Erscheinungsjahr: Campus Verlag, 2012
ISBN 978-3-593-39675-0

Mithilfe wissenschaftlicher Untersuchungen festgefahrene Denkweisen zurechtrücken – hierfür ist die vorliegende Studie durchaus beispielgebend. Die Vorstellung japanischer Inbesitznahme Taiwans durch eine Art moderate Despotie wird gleichsam im Nebeneffekt verabschiedet. Hauptaugenmerk liegt auf der Ausarbeitung und Anwendung des sogenannten wissenschaftlichen Kolonialismus, mit dessen Hilfe eine Optimierung eben dieser Einverleibung in die Wege geleitet werden sollte. Nadin Heé bürstet die historische Überlieferung, auch in der wissenschaftlichen Literatur, gegen den Strich, korrigiert manche Fehldeutung und beleuchtet bisher Unberücksichtigtes, das in Form unerschlossener Kolonialakten auch künftigen Forscherinnengenerationen noch Aufgabenfelder stellt.
Taiwan wurde 1895 in Umsetzung des Vertrages von Shimonoseki zur ersten Kolonie Japans. Zur Zivilisierung, der eine Bevölkerung, die sich aus Chinesen und autochthonen Ethnien zusammensetzt, offensichtlich bedurfte, um mit dem Japaner schlechthin gleichzuziehen, installierte die Kolonialmacht einen wissenschaftlichen Apparat einerseits und rekrutierte Teile der Einwohnerschaft auf mehr oder weniger subtile Weise zu Handlangerdiensten andererseits. Die Devise „Sitten und Gebräuche der Einheimischen erheben“, um sie sozusagen mit dem von ihnen selbst geknüpften Gängelband an die Kandare zu nehmen, unterschätzte jedoch bei der Vertiefung des hokō-Systems, dass die vorangegangene chinesische (Qing) Herrschaft und ihr baojia-System [chinesische Lesart desselben Begriffs] der Selbstkontrolle eben noch nicht in langer Tradition auf Taiwan währte, um als flächendeckend eingeführt zu gelten. Eine Übertragung des japanischen Systems „einer streng überwachten sozialen Immobilität“(Susanne Philipps) aus der Edo-Zeit, insbesondere das Prinzip der sogenannten Fünferschaften (goningumi) war offenbar niemals erwogen worden. Die Ideologie der Repression sollte originär chinesisch verbrämt werden, etwa indem auf die „Sammlung über Glück und Wohlwollen“ von Huang Liuhong rekurriert wurde. Das „schöne Eiland“[nach der portugiesischen Bezeichnung Ilha Formosa] kannte indes zwischen 1895 und 1902 über 50 lokale Aufstände (vgl. S. 43).
Der Scheidung eines „barbarischen“ vom „zivilisierten“ Raum wurde durch den Aufbau eines Befestigungsgürtels, der sogenannten aiyū-Linie Gestalt gegeben. Gleichwohl blieb auch die Region der als solche deklarierten „Rohbarbaren“ dem weiter reichenden Interesse der Kolonialmacht nicht entzogen, wie in den Regionen des Kampferbaumes auszumachen ist. Am Beispiel der Niederwerfung des Musha-Aufstandes exemplifiziert die Autorin die Strategie „Barbarisches mit Barbarischem vernichten“, die ansetzen konnte, nachdem Anthropologen Herkommen und Gepflogenheit der Kopfjagd bei Eingeborenenstämmen gedeutet hatten. Dass im Zuge dessen auch das japanische Militär 1930 die anerkannten Konventionen der Kriegsführung verließ (Einsatz von Giftgas), sei am Rande erwähnt.
Im Bemühen um die Bekämpfung der ungleichen Verträge, die Japan von den USA und Europa oktroyiert worden waren, ging es darum mit den „zivilisierten“ Ländern gleichzuziehen, indem etwa deren Rechtsauffassung die japanische Rechtstradition beerben sollte. In der Differenzierung der praktischen Anwendung dieses Rechtsverständnisses zwischen dem „Innenland“(Japan) und der Kolonie(Taiwan) traten Widersprüche jedoch nicht nur im Hinblick auf Körperstrafen auf.
Einen grundlegenden Schub erfuhr die Politik der Assimilierung und Japanisierung 1937. Taiwaner sollten in Subjekte des Kaisers verwandelt werden (S. 219). In der Folge wurden „freiwillige Eingeborenenkrieger“ rekrutiert. Tatsächlich handelte es sich um den 1974 im indonesischen Dschungel entdeckten Ausharrenden der Kaiserlichen Armee, Nakamura Akio, um einen Takasago aus Taiwan (S. 217).



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