Ein verdrängtes Kapitel japanischer Frauengeschichte

Buchtitel: Sandakan Bordell Nr. 8. Ein verdrängtes Kapitel japanischer Frauengeschichte [Sandakan hachiban shōkan]
Autorin: Yamazaki Tomoko
[aus dem Japanischen übersetzt von Yukiko Sumoto-Schwan & Friedrich B. Schwan]
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2005
ISBN 3-89129-406-9

Das ist die endlich verfügbare deutsche Übersetzung eines Buches, das in Japan schon kurz nach seinem Erscheinen (1972) für Furore sorgte. Es wurde ins Hochchinesische, Thailändische und Koreanische übertragen und stieß auch in diesen Ländern auf ein beachtliches Echo. Eine erste Übersetzung ins amerikanische Englisch erfolgte 1999. Vor allem der Rührigkeit des Übersetzerehepaars ist es zu danken, dass nunmehr eine deutschsprachige Ausgabe der interessierten Leserschaft unterbreitet werden kann. Wer immer sich für die Sozialgeschichte Japans interessiert und sein Augenmerk auch vor dem Los der Frauen einfachen Herkommens nicht verschließt, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Die Autorin Yamazaki Tomoko stand anlässlich der Präsentation der deutschen Fassung ihres Werkes im Oktober 2005 an der Ruhr-Universität Bochum, geduldig Rede und Antwort.
Das Buch spürt den Lebensgeschichten der so genannten karayukisan nach, Frauen, die in der Zeit zwischen 1860 und 1930 ins Ausland gingen (oder nach dorthin verbracht wurden), um ihren Körper zu verkaufen. Zu einem überwiegenden Teil stammten diese Frauen aus der Region des Amakusa-Archipels (Hauptinseln: Shimojima, Kamijima), getrieben von der peinigenden Armut ihres Aufwachsens. Yamazaki Tomoko verabsäumt es nicht, den Ursachen für das herrschende Elend in dieser Gegend nachzugehen. Nur dem flüchtigen Blick scheinen sich die natürlichen Gegebenheiten (topographische Zerklüftung und wenig ertragreiche Böden über Vulkanerde) als schlüssige Erklärung aufzudrängen. Vielmehr dürfen, nach Worten der Autorin, die viel zu hohe Steuerlast, die Devastierung des Landstrichs als Folge der Niederschlagung des Shimabara-Aufstands und die anschließende Zwangsumsiedlung von Menschen aus anderen Landesteilen nach hierher als Hauptursachen angesprochen werden. Dass der gesamten Region bis weit ins 20. Jahrhundert hinein von höherer Stelle selten angemessenes Einfühlungsvermögen zuteil wurde, mögen vielleicht die “Vorkommnisse” von Minamata verdeutlichen.
Wie Yamazaki Tomoko die Vorbereitung ihres Vorhabens schildert, sich mit Bedachtsamkeit einer alten, ehemaligen karayukisan, Osaki, annähert und drei Wochen mit ihr in ihrer armseligen Kate verbringt um ihre Geschichte zu erfahren, ist überaus anrührend gezeichnet. Dabei vergreift sich die Autorin niemals im Ton, wird weder rührselig, noch verfällt sie in Larmoyanz, gleichwohl die Rekonstruktion schwerer Schicksale eine lastende Traurigkeit einfängt, der sich der Leser, wenn er denn nicht gänzlich aus Holz ist, nur schwer zu entziehen vermag. So folgt das Buch im Kern der Lebensgeschichte Osakis, die als Kind an einen Bordellbetreiber verkauft wird, der sein Etablissement in Sandakan auf Nordborneo unterhält. Die Verdienste aus den Dienstleistungen, zu denen sie gezwungen wird, und von denen sie einen Teil ihrem Bruder in der Heimat zufließen lässt, damit der eine Familie gründen kann, reichen über Jahre nicht hin, sich aus ihrem Abhängigkeitsverhältnis zu lösen. Erst nach langem ist es ihr beschieden, einen Landsmann zu ehelichen, mit dem es sie in die Mandschurei verschlägt. Mit dem Ende des Krieges verlieren sie dort die Grundlage ihrer Existenz und kehren völlig mittellos nach Japan zurück.
Warum soll man (Mann oder Frau) überhaupt so ein Buch lesen? Gibt es nicht lustigeres? Zum einen: “Es ist nicht gesagt, dass der Mensch von Natur aus heiter ist.”(Miguel de Unamuno). Zum anderen: Yamazaki Tomoko weist darauf hin, dass die Zeit der karayukisan, der Japanerinnen die ins Ausland verkauft werden, zwar vorbei ist, aber dennoch lässt sich nicht leugnen, dass noch heute in Japan (und natürlich nicht nur in Japan!) Frauen in Verhältnisse gezwungen werden, die sie sich aus freien Stücken niemals aussuchen würden. Das aufzuzeigen, dazu trägt unbestritten dieses Buch bei.
[Es sei hier kurz darauf hingewiesen, dass der so genannte Prostitutionstourismus nach Südostasien (vornehmlich nach Thailand und den Philippinen, auch nach Kambodscha; nur Vietnam setzt gegenwärtig drakonische Maßnahmen zur Abwehr!) keine alleinige Erfindung der US-Amerikaner und Europäer, sondern eben auch der Japaner ist. Es sind Männer, die für die daraus erwachsenden Probleme verantwortlich zeichnen!]
Yamazaki Tomoko hat nicht nur über die karayukisan gearbeitet, sondern außerdem über das Schicksal der so genannten Festlandsbräute (Frauen, die eine Heirat mit japanischen Siedlern in der Mandschurei eingingen), über Japanerinnen, die als Kinder in den ehemals von Japan besetzten Gebieten zurückgelassen wurden [dazu gibt es eine kürzlich verlautbarte, höchstrichterliche Entscheidung, die Zurückweisung der Klage einer betagten Japanerin an den Japanischen Staat betreffend; dazu einmal an anderer Stelle mehr!], sowie über die ihrem bitteren Schicksal überlassenen “Trostfrauen”.



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