Neues Bauen – japanisch

Buchtitel: Takaharu + Yui Tezuka – Nostalgic Future / Erinnerte Zukunft
Herausgeber: Paul Andreas u. Peter Cachola Schmal
Verlag, Erscheinungsjahr: Jovis, 2009
ISBN 978-3-86859-021-0

Nein, das ist kein windiges Elaborat à la Erich von Däniken („Erinnerungen an die Zukunft“), sondern der Katalog zur aktuellen Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (am Main) über das Schaffen des japanischen Architektenehepaares Tezuka.
Japan ist nicht gerade arm an eindrucksvollen Architekten (und Architektinnen), in jeder Hinsicht [auch in abschreckender!], aber die beiden gehören mit ihrem Werkverzeichnis wohl zur Crème de la Crème: Ihre Bauentwürfe sind so unprätentiös wie genial. Man wünschte sie sich auch woanders realisiert, beispielsweise in Vorarlberg. Dann müsste man als Architektur-Aficionado nämlich nicht gleich um den Globus.
Den Katalog leiten Essays und ein Gespräch, das einer der Herausgeber mit Tezuka Architects in deren Tokioter Büro geführt hat, ein. Daran schließt sich die Darstellung einiger ausgewählter Projekte an. Die photographischen Aufnahmen lassen nichts zu wünschen übrig.
Die Fröhlichkeit der Kinder im Fuji Kindergarten in Tachikawa (Tokio) ist förmlich mitreißend. Das Gebäude, ein ovaler Ring mit Aussparungen im Flachdach für die Baumkronen dreier Ulmen, ist bis in die Details des Interieurs durchdacht und an die Bedürfnisse seiner kleinen Nutznießer respektvoll angepasst.
Ein Pavillon für das Hakone-Freilichtmuseum, genannt „Woods of Net“ wirkt wie ein Kobel aus Tramhölzern. Tatsächlich dient er der Aufhängung des Netzobjektes einer japanischen Künstlerin, das Kinder nach Herzenslust strapazieren können. Wahrscheinlich das einzige Kunstwerk überhaupt, neben dem Strawinski-Brunnen von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle beim Centre Georges Pompidou in Paris, das von Kindern mit Enthusiasmus in Beschlag genommen wird. Die Holzverbindungen der Balken folgen ganz der einheimischen Zimmermanns-Tradition, keinerlei Metallteile halten das Genist der Balken zusammen.
Nachgerade spektakulär: Das naturwissenschaftliche Museum und die Forschungseinrichtung „ Kyororo“ im yukiguni von Matsunoyama – als handelte es sich um ein immer schon in der Landschaft vorhanden gewesenes Artefakt aus einem künftig wiederkehrenden Zeitalter. Vollkommen schlüssig auch hier das Fassadenmaterial: rostender Corten-Stahl. Ein Bau, der winters förmlich in gewaltige Schneemassen hineinzukriechen scheint.
Das Ateliergebäude in Ushimado hätte Wittgenstein gefallen: Ein Haus bar allen Dekors – ein Triumph unaufdringlicher Deutlichkeit.
Das so genannte „Roof House“ in Kanagawa, für eine Familie mit mehreren Kindern projektiert, erweitert den Wohnraum durch Lukenausstiege auf die leichte Dachschräge. Die Architekturlandschaft seiner Umgebung wirkt dagegen wie aus den Ladenhüterprospekten der Fertighäusldiskonter zusammengebastelt – für das Wohnidylldesaster mit Schrotflinte.
Wie Tezuka Yui im Interview erklärt, ist es ihr und ihrem Mann darum zu tun, eine Form von Architektur wiederzubeleben, die den traditionellen japanischen Häusern wie selbstverständlich zu Eigen gewesen ist. Beide gehen mit viel Einfühlungsvermögen für ihre Auftraggeber und mit klarer Konsequenz ans Werk, ohne doch die Entwicklung eines sturen architektonischen Manifestes zu verfolgen, an dem die Hünen der Allerweltsverschrobenheit wie an einem Katechismus festhalten, um ihrer Borniertheit den Ausdruck von Tiefe zu verleihen.
Überaus spannende Architektur für Menschen, die sich keinem Modenfetischismus beugt. Kolossal beeindruckend!
Und von wegen Künstlerehen funktionieren nicht!



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