Meisterinnen der Poesie

Buchtitel: Frauen in der Bürgerkultur der Edo-Zeit. Anhand von Beispielen aus der haikai-Dichtung unter besonderer Berücksichtigung von Kaga no Chiyo
Autorin: Helga Szentiványi
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2008
ISBN 978-3-89129-531-1

Wie auf diesen Seiten bereits des Öfteren erwähnt, ist die deutschsprachige Literatur zur Geschichte und Kultur der Frauen Japans recht überschaubar. [Was natürlich nicht am Forschungsgegenstand liegt!] Es ist daher besonders zu begrüßen, dass mit der vorliegenden Arbeit alle Interessierte sozusagen ein weiteres Steinchen ins Mosaik ihrer Betrachtung setzen können. Die Besonderheit des Unterfangens, haikai-Dichterinnen, sollte niemanden abschrecken, zumal es die Autorin versteht, die Eingebundenheit der künstlerischen Hervorbringungen in das Charakteristische ihrer Zeit, auch den mit den Verhältnissen nicht Vertrauten zu erschließen.
Eingangs schildert sie die starre gesellschaftliche Konstituierung der Tokugawa-Zeit in geraffter Zusammenschau, die den kontextuellen Hintergrund aufbereitet, vor dem die ausgewählten Dichterinnen vorgestellt werden. Die Entwicklung der Dichtkunst haikai, die spätestens seit Masaoka Shiki unter dem geläufigeren Begriff haiku firmiert, wird ebenfalls kursorisch ausgebreitet. [Wer in diese Materie noch nicht sehr tief eingedrungen ist, wird die dichte Fülle an Informationen besonders zu schätzen wissen.]
Die ausgewählten Textbeispiele werden in kanji, romaji und in der Übertragung der Verfasserin wiedergegeben. Aufgrund der Metaphorik, die eines der bestimmenden Kennzeichen der knappen Dichtkunst ausmachen, gelingt ein spontanes Erfassen der kolportierten Bedeutung und der Anspielungen ohne die begleitenden Erläuterungen wohl nur der versierten Japanologin. Wer das berühmte Frosch-Gedicht von Bashō kennt, das in der, meines Erachtens einfühlsamsten Nachdichtung, auf deutsch mit einem lautmalerischen ,Plumps!’ endet, wird wissen, dass die wortwörtliche Übertragung von Poesie die Gedankenwelt der Originalsprache oft nur sehr mangelhaft einfangen kann. Helga Szentiványi gelingt es aber ausgezeichnet, diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Dass so manches Gedicht den Lesenden möglicherweise etwas spröde ankommt, liegt aber in der Bilderwelt des Originals, die, wie gesagt, sich eben nicht jedem erschließt.
Gedichte wie jenes von Sute-jo über die Stempeldrucke der Holzsandalen eines in den Schnee tretenden Mädchens (S. 74) finde ich besonders berückend.
Der wohl bekanntesten „haikai-Dichterin der Edo-Zeit“ (S. 115), Kaga no Chiyo, gilt in diesem Buch die ausführlichste Betrachtung. Die Autorin schildert ihren Werdegang, ihre künstlerische Entwicklung und die Rezeptionsgeschichte ihrer Werke. Gleichwohl es keiner der weiblichen haijin gegönnt war, selbst schulbildend zu wirken wie etliche ihrer männlichen Kollegen, blieb einigen von ihnen die Anerkennung keinesfalls versagt. Wie groß indessen der Anteil der Dichterinnen im Gesamtkonzert der künstlerischen Hervorbringungen der vorgestellten Zeit überhaupt angesetzt werden muss, bleibt angesichts der lückenhaften Überlieferung aber auch weiterhin ein Forschungsdesiderat.
Die Autorin bewältigt die Herausforderung, bislang selten gewürdigte japanische Dichterinnen ins rechte Licht zu rücken souverän, was die Lektüre dieser wissenschaftlichen Abhandlung recht kurzweilig geraten lässt. Die Menge an kulturgeschichtlichen Details – verwitwete Frauen, die im Nonnenstand als reisende ‚Pilgerinnen’ Freiheiten gewinnen, die ihnen unter anderem Familienstand verwehrt waren; die oft recht kruden Ränke in der Nachfolge der Daimyate, um nur zwei Aspekte herauszugreifen – verschaffen den an japanischer (Gesellschafts-)Geschichte Interessierten gewinnende Einblicke. Selten gerät auch die leidige Fußnotenlektüre so befruchtend wie in diesem Buch.
Uneingeschränkte Empfehlung!



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