Japanische Geschlechterverhältnisse, literarisch

Buchtitel: Under construction. Geschlechterbeziehungen in der Literatur populärer japanischer Gegenwartsautorinnen
Autorin: Ina Hein
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2008
ISBN 978-3- 89129-532-8

Unlängst ist das Erscheinen der im Verlag für Sozialwissenschaften bereits vor Jahren angekündigten Monographie „Die Frauenbewegung in Japan“ abermals, inzwischen zum sechsten Mal, auf irgendwann 2009 verschoben worden. Wer sich für diese Thematik im Allgemeinen und die Geschlechterverhältnisse in Japan im Besonderen interessiert, kann Deutschsprachiges mühsam in Form von Aufsätzen aus Fachzeitschriften und Symposiumsbänden zusammenklauben oder sich der Chose auf Umwegen nähern.
Einer bestünde darin, dieses Buch zu lesen, das seine Verfasserin als Dissertation an der Universität Trier eingereicht hat. Es wendet sich keinesfalls nur an Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler, oder an solche, die ein Faible für die darin vorgestellten vier japanischen Gegenwartsautorinnen – Mori Yōko, Ochiai Keiko, Yamada Eimi und Yoshimoto Banana – hegen. (Wobei eine größere deutschsprachige Fan-Gemeinde aufgrund der Anzahl der übersetzten Werke allein bei Yoshimoto anzunehmen ist.)
Ina Hein eröffnet ihre Studie mit einer Darlegung jener Aspekte der Gender Studies, auf die sie im Weiteren rekurriert, fasst den Geschlechterdiskurs im Japan der Moderne zusammen und positioniert ihre Arbeit im Kontext des Forschungsstandes zur Literatur japanischer Schriftstellerinnen der Gegenwart.
Der Auseinandersetzung mit diesen und ihren Schöpfungen eignet in Japan etwas Besonderes: „Tatsächlich scheint unter japanischen LeserInnen die Tendenz, sich stark mit Figuren und Geschehen in literarischen Werken zu identifizieren, besonders ausgeprägt zu sein.“(S. 24). Dies muss angesichts des hohen Durchdringungsgrades der Medien in Japan umso bemerkenswerter erscheinen, vermag Lektüre doch ein anderes Maß an Suggestivkraft zu entfalten, als einen durch das Dauerbombardement visueller Botschaften überkommt.
Die Verfasserin der vorliegenden Studie geht der Frage nach, inwiefern die ausgewählten Romane („Onnazakari“ von Mori Yōko, „Ai suredo hitori“ von Ochiai Keiko, „Beddotaimu aizu“ von Yamada Eimi, sowie „Kitchin“ von Yoshimoto Banana, erstmals original erschienen Ende der 1970er, bzw. in den 1980er Jahren) „Geschlechterbilder gegen den herrschenden Diskurs entwerfen“(S. 13). Von diesen Werken liegt bislang lediglich Yoshimoto Bananas „Kitchin“ ins Deutsche übertragen vor. [„Beddotaimu aizu“ von Yamada Eimi ist unter dem Titel „Nächte mit Spoon“, in der Übersetzung von Ina Hein, für Jänner 2009 angekündigt.]
Klarerweise kann man die Romane auch unter ganz anderem Fokus analysieren, ist sich Ina Hein bewusst: „literarische Texte tragen immer die Möglichkeit der Polysemantik in sich.“ (Fußnote 28, S. 28) – aber die gewählte Herangehensweise bietet unter den eingangs erwähnten Gesichtspunkten Leserinnen und Lesern der Arbeit eine durchaus fruchtbare Lektüre.
Inwiefern literarische Fiktion Verhältnisse in der realen Welt abbildet oder sie voraus denkt, führt über den Rahmen der Studie freilich hinaus. Anzunehmen, dass sie sie konstituiert, wäre ziemlich verstiegen. Also etwa zu vermuten, Japanerinnen fühlten sich nach der Lektüre von „Beddotaimu aizu“ dazu animiert ein Liebes- und Lebensverhältnis mit einem Afroamerikaner anzustreben. [Allerdings scheinen Verbindungen zwischen japanischen und nicht-japanischen Menschen innert der letzten Dezennien vermehrt zustande zu geraten. Die Japan Times vom 4. August 2008 meldet, dass noch nie so viele Kinder mit einem nicht-japanischen Elternteil geboren worden sind wie im Jahr 2006.]
Dass Geschlechterverhältnisse nicht als kanoniserte Rollenzuschreibungen festgelegt und auch nirgendwo in Stein gemeißelt sind, sondern in ihrer Ausgestaltung einen niemals abgeschlossen Prozess darstellen, unterstreicht der Titel dieser vorzüglichen Studie. Die Lebensentwürfe japanischer Frauen entfalten sich in der Literatur in deutlicherem Selbstbewusstsein, als es Vorurteile und Vermutungen über reale Zustände nahelegen. Gegen die sich abzusetzen ist aber nicht nur ein offenkundiges Merkmal von Zeitgenossenschaft in der Literatur. Und ein entspanntes, im Umgang rücksichtsvolles Miteinander der Geschlechter, steht nicht nur einer Gesellschaft wie der japanischen gut an.



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