Wie höflich sind Japaner wirklich?

Buchtitel: Wie höflich sind Japaner wirklich? Höflichkeitserwartungen in der japanischen Alltagskommunikation
Autorin: Yvonne Fritzsche
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 1998
ISBN 3-89129-325-9

Vorliegende Untersuchung wurde 1997 an der Uni Duisburg als Dissertation approbiert. Die Verfasserin beschäftigte sich bereits in ihrer unveröffentlichten Diplomarbeit mit einer Variation der Fragestellung (“Der Höflichkeitsausdruck als spezifischer Soziativausdruck im Japanischen”, 1990). Wer mit sozialwissenschaftlichen Untersuchungen wenig vertraut ist, dem verlangt die Lektüre an Mühen einiges ab. Allen anderen kann sie eine Fundgrube sein, rekurriert die Autorin doch auf Theorien der Sprachwissenschaft und der Kommunikationsforschung, der Sozialanthropologie und der Soziolinguistik, um die wichtigsten Ansätze zu nennen. Allein die Sprache im Forschungskontext zeitgenössischer französischer Soziologie, der “Schule” um Pierre Bourdieu etwa, scheint mir etwas unterschlagen.
Es geht natürlich nicht darum, zu belegen inwieweit Japaner höflicher, oder allenfalls auch weniger höflich, als Menschen anderer Ethnien wären. Solcher unsinniger Betrachtungen hätte es vielleicht im Rahmen einer längst desavouierten Forschungsdisziplin der Völkerpsychologie bedurft. Der Begriff der Höflichkeit im je eigenen kulturellen Zusammenhang ist keine qualitative Vergleichsgröße. Und so wird denn hier Höflichkeit auch innerjapanisch festgemacht und in folgende Umgebungsstruktur eingebettet: Die japanische Sprache als eine der Aussparung und der Andeutung, das Offenlassen von Gedankengängen, die emotionale Reservation, Hierarchie- und Geschlechterdispositionen, uchi-soto-Relation. “Der japanische Kommunikationsstil ist eher auf das Verhältnis der Kommunikationspartner bezogen und zielt nicht vorwiegend auf den einzelnen und die Sache, auf effektive Selbstdarstellung, Beeinflussung und Überzeugung der anderen ab.” (S. 141)
Grundlage der Studie bildet die Auswertung eines Erhebungsbogens, vermittels dessen unter anderem die Einschätzung von Höflichkeitsfloskeln abgefragt wurde. Da der Befragung repräsentative Stichproben der Gesamtbevölkerung zugrunde lagen, konnten neben alters- und geschlechtsspezifischen, auch regionale Tendenzen gefiltert werden. Im Wesentlichen gipfelt die Studie in folgender Erkenntnis: Wie die japanische Gesellschaft als Ganzes permanentem Wandel unterworfen ist, nuancieren sich auch die Ausprägungen der Höflichkeit. Auf vertikaler Ebene gewinnen Toleranzen (Akzeptanz von weniger respektvollem Gehabe und die damit korrespondierende Variation der Erwartungshaltung) an Boden, auf horizontaler Ebene zeigt die Entwicklung deutlich eine Ausweitung des Kreises der in die Rituale der Manierlichkeit Einbezogenen. Wer bildet die Avantgarde dieser “modernen Höflichkeit” in Japan?
“Japans Eliten sind es nicht. Die Bildungsschicht mit Auslandserfahrung ist es nicht. Erneuerungstendenzen erwachsen vielmehr aus einem sich allmählich wandelnden Selbstverständnis junger Frauen und aus organisationspraktischen Notwendigkeiten, beginnend in kleineren Sozialstrukturen wie in mittelständischen Unternehmen oder weitgehend selbständig operierenden Unternehmenseinheiten.” (S. 480)
Das Resümee scheint mit beobachteten Entwicklungen in anderen Ländern (Südkorea, Taiwan) überein zu stimmen: Es sind die Frauen Ostasiens, die nicht mehr länger unterschätzt werden sollten.



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