Stolz und Vorurteil

Buchtitel: Die Fremden – ein Schreckgespenst der Meiji-Zeit
Übersetzung u. Kommentar von: Hartmut O. Rotermund
Verlag, Erscheinungsjahr: Iudicium, 2012
ISBN 978-3-86205-094-9

Dass man sich vor Fremden in Acht nehmen muss, ist ein universaler Grundsatz, der jedem einleuchtet, insofern er nicht in diplomatischen Diensten steht oder als Gastwirt sein Auslangen findet. [Oder aber im Jahr 1945 als kleines Kind erstmals in seinem Leben Schokolade und Kaugummi geschenkt bekommt – von einem Ausländer in Uniform, wie sich ein Japaner einem Korrespondenten der Neuen Zürcher anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes anvertraute.] Ein Land wie Japan, dass sich unter dem Tokugawa-Regime einer selbst auferlegten Abschließung unterzog, kultivierte nolens volens in der Ära der erzwungenen Öffnung einen Stilblütenstrauß an Vorurteilen und Fehleinschätzungen. [Was seltsame Vorstellungen anbetrifft, ist es umgekehrt auch nicht anders zugegangen.]
Das vorliegende Buch versammelt Bemerkungen aus der Zeit unmittelbar vor Revision der sogenannten ungleichen Verträge und der Vorbereitung auf eine Koexistenz mit Ausländern auf japanischem Boden (vgl. S. 9), die der Begriff naichi zakkyo spiegelt. Die Quellen, aus denen der Übersetzer schöpft, sind in der Literaturauswahl gelistet. Dass die einzelnen Zitate nicht immer eindeutig zugeordnet werden können, daran mag sich der interessierte Laie nicht ernsthaft stoßen. Vom Standpunkt der Benutzbarkeit als wissenschaftliches Referenzwerk, sieht das vielleicht etwas anders aus. Rotermund begleitet, wo notwendig, die Literaturstellen mit erklärenden Bemerkungen, sodass Anspielungen und Redensarten erhellen. Der Wert der Sammlung liegt in ihrer Authentizität, die den Geist der Zeit reflektiert. Vermag manche Erkenntnis zu amüsieren – „Der Unterschied zwischen Fremden und uns Japanern ist kleiner als der zwischen uns Japanern und den Ainus.“([8], S. 81) – kann anderes frappieren: „Die Mehrzahl derer, die ins Land kommen, sind Rohlinge und Versager in ihren Heimatländern (…)“([24], S. 83).
In thematischer Strukturierung findet man Aperçus und Ressentiments, Idealvorstellungen und Appelle. „(…) Für einen Armen in Tokyo ist es selten, nicht wenigstens einmal in der Woche ein Bad zu nehmen – im Westen jedoch gibt es viele Arme, die mehrere Jahre hindurch kein Bad nehmen können.“([85], S. 126) Es gibt freilich noch bedauernswertere Verhältnisse: „(…) In der Mongolei aber ist es noch schlimmer: Von der Geburt bis zum Tod – kein einziges Bad.“([87], S. 127)
Kühn erscheint folgende Einschätzung: „Im Westen verheiratet man sich in den höheren Gesellschafts-Schichten häufig für Geld – ein Beweggrund, der in unserer japanischen Gesellschaft völlig fehlt.“([33], S. 137)
Natürlich offenbaren unterschiedliche Meinungen entsprechende Widersprüche. „In Japan haben Buddhismus und Konfuzianismus seit alters dazu beigetragen, das Übel der Prostitution zu vermeiden.“([55], S. 140), befindet jemand. Anderswo wird hingegen behauptet: „Unter jungen Japanern sieht man es als Schande an, kein Bordell zu besuchen.“([62], S. 141). Wahrscheinlich zu dem Zweck, vor Ort gepflegte Konversation über die Aufhebung von Handelshemmnissen zu führen.
Mancher Hellsichtige, wie zum Beispiel Sata Kaiseki, wusste den Niedergang Japans mit der Entwicklung der Eisenbahn sowie der Einführung der Elektrizität in Zusammenhang zu bringen (vgl. Fußnote S. 149).
Ein kurzweiliges Buch, dessen Lektüre einen indes nicht dazu verleiten sollte, sich selbst frei von Ressentiments zu dünken.

Preishinweis! Der korrekte Verkaufspreis des Buches beträgt EUR 28.-



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